Strittige Punkte blieben unklar

Bosnier und Westherzegowina-Kroaten einig: Grundsatzabkommen über muslimisch-kroatische Föderation unterschrieben / Frieden hängt vom Verhalten der Serben ab  ■ Von Andreas Zumach

Berlin (taz) – Mit den Unterschriften des bosnischen Ministerpräsidenten Haris Silajdžić und des Führers der bosnischen Kroaten, Krešimir Žubak, unter das Abkommen über eine muslimisch- kroatische Föderation wurden gestern in Washington im Beisein von US-Präsident Bill Clinton entscheidende Weichen im Bosnienkonflikt gestellt. Mit dem hochoffiziellen Akt im Weißen Haus wird nach dreimonatigen, von den USA initiierten intensiven Verhandlungen das Ende des blutigen Konflikts zwischen Muslimen und Kroaten besiegelt, der vor einem Jahr als Folge der Verhandlungskünste von EU-Vermittler David Owen und seines damaligen UNO- Kollegen Cyrus Vance begonnen hatte.

Damals hatten die beiden Vermittler zum einen den separatistischen westherzegowinischen Kroatenchef Mate Boban als Vertreter aller bosnischen Kroaten am Genfer Verhandlungstisch akzeptiert. Zudem führten Vance und Owen im Januar 1993 mit ihrem ersten „Friedensplan“ die ethnische Zugehörigkeit als Kriterium für die Verteilung von Territorien ein. In den sechs der zehn geplanten Provinzen, in denen die Mehrheitsverhältnisse vor Beginn des Bosnienkrieges am 6. April 1992 eindeutig waren, legte der Plan fest, wer die Regierung stellen und wessen Streitkräfte dort stationiert werden sollten. Doch für die Provinzen Zenica, Travnik und Mostar, in denen Kroaten und Muslime in nahezu gleicher Bevölkerungsstärke bis dato friedlich zusammengelebt hatten, sah der Plan keine Regelung vor.

Diese sollten „Kroaten und Muslime miteinander ausmachen“, wie es Owen im Februar letzten Jahres in einer schriftlichen Erläuterung ausdrückte. Damit war die Saat für den Zusammenbruch der bisherigen kroatisch- muslimischen Allianz gegen die Serben gelegt. Bis heute nicht restlos geklärte Aktivitäten des britischen Geheimdienstes MI5 taten ein übriges, um die beiden Volkgsruppen in den Krieg gegeneinander zu hetzen. Vor diesem Hintergrund konnten Owen und Vance- Nachfolger Thorvald Stoltenberg im Juni 1993 den ursprünglichen Plan einer Kantonisierung Bosniens fallenlassen und den von ihnen gemeinsam mit Tudjman und dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević verfaßten „Vance-Owen-Plan“ für die Dreiteilung des Landes in Genf auf den Tisch legen.

Auch wenn das gestern unterzeichnete Föderationsabkommen große Teile der kroatisch-muslimischen Probleme beseitigt hat, so besteht es doch zunächt nur aus einer Präambel und einem 52seitigen Verfassungstext. Ungeklärt bleibt, ob die muslimisch-kroatische Föderation aus sieben oder neun Kantonen bestehen soll, wo genau die Außengrenze des neuen Bosnien sein soll und was mit Goražde, Srebrenica und Zepa, den drei von serbischen Truppen belagerten muslimischen Enklaven in Ostbosnien, und mit Sarajevo, von dem die Serben mindestens ein Drittel behalten wollen, passieren soll. Die meisten dieser Fragen lassen sich nur unter Einbeziehung der Serben klären – oder aber militärisch entscheiden. Seit letztem Sonntag liegt eine Vereinbarung über die baldige Zusammenführung der bislang bosnisch-muslimischen bzw. kroatischen Streitkräfte vor.

Zumindest die bisherigen Reaktionen von Radovan Karadžić und anderen führenden Vertretern der bosnischen Serben auf das Föderationsabkommen lassen die Aussichten für eine Verhandlungslösung gering erscheinen. Falls die Serben das Modell überhaupt akzeptieren, wollen sie allerhöchstens 15 Prozent der derzeit von ihnen besetzten 70 Prozent des bosnischen Territoriums aufgeben. Damit blieben der Föderation maximal 40,5 Prozent, US-Vermittler Charles Redman konnte die Zustimmung der Muslime und Kroaten zu dem Föderationsmodell jedoch nur mit der Zusicherung von mindestens 51 Prozent des bisherigen Bosnien erreichen.

Eine weitere Schwierigkeit könnte in Kroatien entstehen: Das Okay Präsident Tudjmans und dessen Bereitschaft zu einer späteren Konföderation mit der bosnischen Föderation hatte Redman nämlich mit dem Versprechen erkauft, daß die volle Souveränität der Zagreber Regierung über das serbisch besetzte Drittel Kroatiens wiederhergestellt werde. US-Präsident Clinton ist dabei auf die Mitarbeit Rußlands angewiesen, das Pale und Belgrad zu territorialen Konzessionen in Bosnien und in Kroatien bewegen müßte. Bislang gab es allerdings keine Anzeichen dafür, daß Moskau dies auch nur ernsthaft versucht hätte.

Fast ein Jahr lang hatte die Clinton-Administration Abstand zum Bosnienkonflikt gehalten, ihn zeitweise zur alleinigen Angelegenheit der Europäer erklärt. Erst als das totale Scheitern des letzten EU- Plans offensichtlich geworden war, hatte die Clinton-Administration die Initiative ergriffen. Inzwischen hat sie sowohl politisches Kapital investiert, so daß ein Scheitern des Föderationsmodells an mangelnder Kooperation Rußlands die Beziehungen zwischen Washington und Moskau erheblich belasten dürfte. Die Spannungen könnten eskalieren, sollten die Außengrenzen der kroatisch-muslimischen Föderation ohne Einverständnis der Serben festgelegt werden.

Bisher haben neben den USA und 51 islamischen Staaten zahlreiche weitere Länder des Westens und des Südens zugesagt, die neue bosnische Föderation als Staat anzuerkennen. Von dem gegen Restjugoslawien verhängten Waffenembargo der Vereinten Nationen soll sie ausdrücklich ausgenommen werden. Die Föderation erhält Waffen und darf die ihr zugeschlagenen, aber noch von bosnisch-serbischen Truppen besetzten Gebiete militärisch zurückerobern – mit stillschweigender Duldung der Staaten, die sie anerkannt haben sowie möglicherweise mit tatkräftiger Unterstützung Kroatiens.