: „Die Rechte will die Schraube zurückdrehen“
■ Der Frieden ist noch nicht gesichert / Interview mit der ehemaligen Guerilla-Comandante Rebeca Palacios, die für die FMLN als Abgeordnete kandidiert
Der Friedensprozeß in El Salvador nach dem Ende des Krieges wird von vielen positiv bewertet. Aber er ist nicht abgeschlossen. Insbesondere die Frage, wie die ehemaligen Kämpfer der Guerilla ins zivile Leben integriert werden können, ist noch ungelöst. Lorena Peña, besser bekannt unter ihrem Guerilla-Pseudonym Rebeca Palacios, ist Chefin der „Frauenbewegung Melida Anaya Montes“. Sie kandidiert auf dem aussichtsreichen dritten Platz der nationalen Liste als Abgeordnete der FMLN für das nationale Parlament.
taz: Nach den letzten Umfragen ist die rechte Arena unter den Frauen noch populärer als unter der Bevölkerung insgesamt. Wie erklärst Du Dir das?
Lorena Peña: Die Parteien haben sich lange Zeit um die Stimmen der Frauen nicht gekümmert. Erst in letzter Minute haben sie ihren Wahlkampf auf die Frauen ausgerichtet. Arena hat als erste Partei die Konsequenzen aus den Umfragen gezogen, die besagten, daß die Mehrheit der noch unentschlossenen Wähler weiblich und jugendlich sind. Dazu kommt, daß sich die wenig gebildeten Frauen mit Vorliebe der stärksten Option anschließen – und Arena ist eben jahrelang die stärkste legale Partei gewesen.
Viele der ehemaligen Kämpfer sind unzufrieden und meinen, daß alles, was Ihr im Krieg gewonnen habt, jetzt mit den Wahlen wieder verschenkt wird. Schließlich haben die meisten noch nicht einmal das versprochene Stück Land bekommen und stehen heute genauso schlecht da wie vor dem Krieg.
Bei der Erfüllung der Friedensverträge gibt es große Verzögerungen, vor allem was die Reintegration der ehemaligen Kämpfer betrifft, also Ausbildungsmaßnahmen, Landverteilung und Kreditprogramme. Die Regierung hat hier systematischen Boykott betrieben. Sie haben also recht, wenn sie unzufrieden sind.
Das betrifft übrigens genauso die ehemaligen Regierungssoldaten. Vor drei Wochen haben etwa 2.000 ehemalige Mitglieder der Streitkräfte die Nationalversammlung besetzt und damit gedroht, die Obristen umzubringen, weil die Regierung ihre Auflagen nicht erfüllt hat. Wer immer die Wahlen gewinnt – die künftige Regierung muß sich verpflichten, die noch anstehenden Punkte des Friedensvertrages ernsthaft zu erfüllen. Die FMLN verlangt von Cristiani, daß er die Landverteilung beschleunigt und das Kreditprogramm für die Demobilisierten beider Seiten in Gang setzt. Die FMLN und Ruben Zamora haben das Reintegrationsprogramm ganz oben auf der Prioritätenliste.
Welche Bilanz ziehst Du zwei Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensverträge?
Es ist ganz wichtig, daß sich heute alle politisch betätigen können, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Der Prozeß der Reformen im Justizsystem ist zwar noch lange nicht abgeschlossen, immerhin aber ist dieser Prozeß in Gang gesetzt. Im Obersten Gerichtshof hat bereits ein Erneuerungsprozeß begonnen, der aller Voraussicht nach sehr weitreichend sein wird. Auch die neue Zivilpolizei ist ein großer Gewinn, obwohl hier noch einige Veränderungen anstehen. Nachdem die Kriminalität unglaublich angestiegen war, beginnt sich die Zivilbevölkerung jetzt bereits sicherer zu fühlen. Die jetzt aufgelösten Sicherheitskräfte waren dazu da, politische Gegner zu bekämpfen und nicht das Verbrechen. Und die Mitglieder der Armee standen über dem Gesetz und wurden für ihre Untaten gar nicht zur Rechenschaft gezogen.
Ob die Friedensverträge zur Gänze umgesetzt werden und politische Demokratie, Sicherheit und auch soziale Gerechtigkeit schaffen, hängt letzten Endes vom Wahlergebnis ab. Wenn die Rechte mit Abstand gewinnt, wird sie sich stark fühlen und nicht nur die anstehenden Forderungen nicht erfüllen, sondern versuchen, die Schraube insgesamt zurückzudrehen. Wenn hingegen die demokratische Opposition in den Gemeinden, in der Nationalversammlung und in der Regierung die Mehrheit stellt, können wir sicher sein, daß die Reformen fortgesetzt werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen