: Mehr als zehn Jahre Krieg und über 80.000 Tote sind den Wahlen vorausgegangen, mit denen morgen in El Salvador eine neue, demokratische Ära beginnen soll. Die ehemals bewaffnete FMLN stellt sich erstmals zur Wahl gegen die regierende Arena, die Partei der rechten Todesschwadrone. Aus San Salvador Ralf Leonhard
Vor uns die Mühen der Wahlen
Der Hauptplatz von Santa Clara ist mit Girlanden aus kleinen Wahlplakaten geschmückt. „Unsere Abgeordnete Nidia Diaz“, steht unter einem Foto der ehemaligen Guerilla-Kommandantin, „Bürgermeister Saul Rosa“ unter dem Farbportrait des Mannes, der hier besser als „Comandante Elmer Rojas“ bekannt ist – sein Kampfname aus den Zeiten der Befreiungsfront.
Nidia Diaz kommt in einer Karawane von vier Pritschenfahrzeugen zu ihrer Schlußkundgebung am letzten Wahlkampftag. Nicht weit von hier hat sie gekämpft, bis sie im April 1985 verletzt und gefangen genommen wurde. Und seit den Friedensverträgen ist sie alle paar Wochen einmal hier. Jeder kennt sie, und so drängeln sich auch keine Neugierigen, um ihr die Hand zu schütteln, wie einem Politiker, der nur einmal im Leben die Dörfer besucht, nämlich im Wahlkampf. Vor allem die Kinder lassen sich anlocken, als ein Clown eine Piñata – eine Kreppapierpuppe mit tönernem Bauch – über einen Ast hängt und die Kleinen mit einem Stock auf die Puppe eindreschen läßt, bis der Ton birst und sich ein Kilo Süßigkeiten über die Menge ergießt.
Nidia Diaz, die schließlich auf die Tribüne klettert, faßt sich kurz. Schritt für Schritt erklärt sie, wie die drei Stimmzettel richtig auszufüllen sind, um nicht ungültig zu werden. Nicht nur die Befreiungsfront Farabundo Marti (FMLN) nimmt erstmals an Wahlen teil. Auch ein großer Teil ihrer sozialen Basis hat die Wahlgänge der letzten zwölf Jahre boykottiert, als es links von den mit den Militärs verbündeten Christdemokraten keine Optionen gab.
Mehr als 700.000 Wahlberechtigte mußten sich daher jetzt nicht nur ins Wahlregister eintragen, sondern auch lernen, wie und wo sie ihr Kreuz zu setzen haben. Das ist gar nicht so einfach. Denn auf der Liste für den Präsidenten und den Vizepräsidenten unterstützen die FMLN und die sozialdemokratische MNR die Kandidaten der „Convergencia“, der „Demokratischen Konvergenz“, Ruben Zamora und Francisco Lima. Daher sind auf dem Wahlzettel drei Parteisymbole in einem Kästchen abgebildet. Auf den Listen für die Nationalversammlung und die Gemeindevertretungen wird getrennt marschiert. Keiner solle auf die Idee kommen, dort zwei Fähnchen anzukreuzen, wurden die Neuwähler auf Hunderten Seminaren geschult. Dazu kommt, daß laut Wahlgesetz eine Stimme für ungültig erklärt wird, wenn das Kreuz über das Parteisymbol hinausgeht. Für ungelenke, an die Arbeit mit der Machete gewohnte Hände ist das gar keine so leichte Aufgabe.
Trotz monatelanger Mobilisierung sind nicht alle Salvadorianer über 18 Jahre mit einem Wahlausweis ausgestattet – der allein berechtigt zur Stimmabgabe. „Mir wurde beschieden, mein Ausweis sei fertig, ich könne ihn aber erst nach den Wahlen abholen“, erzählt Maria Elene Castillo, eine Aktivistin der „Salvadorianischen Vereinigung für Frieden und Demokratie“ (ASPAD) in Santa Clara. ASPAD, eine von der FMLN gegründete Nichtregierungsorganisation, hat durch Hausbesuche, Workshops und Tonnen von gedrucktem Material die potentiellen Wähler zur Einschreibung bewegt und Wahlhelfer ausgebildet. Doch etwa 300.000 der 2,7 Millionen eingeschriebenen Staatsbürger blieben wegen bürokratischer Schlamperei ohne Ausweis. Gezielter Schlamperei, vermutet Hector Acevedo, der Chef von ASPAD. Viele pilgerten drei oder mehr Male zur zuständigen Wahlbehörde, um ihren Ausweis abzuholen, und immer wurden sie weggeschickt. Viele erfuhren nie, daß sie noch eine Fotokopie ihrer Geburtsurkunde einreichen mußten – für die vom Krieg betroffene Bevölkerung auf dem Land ohnehin eine Zumutung. Wohl nicht zufällig lebt die Mehrheit der solchermaßen ausgeschlossenen Wähler in den ehemaligen Konfliktzonen und gilt als FMLN-Sympathisanten. In der Provinz Chalatenango beschloß die Wahlbehörde, in vier Gemeinden keine Urnen aufzustellen. Die Stromversorgung sei nicht sichergestellt, hieß es. Jetzt stehen den Einwohnern mehrere Stunden Lkw-Fahrt in die Provinzhauptstadt bevor, wollen sie ihre Stimme abgeben. „Ein Drittel der ehemaligen FMLN-Kämpfer lebt in diesen vier Gemeinden“, klagt die ehemalige Comandante Rebeca Palacios.
Die regierende Arena-Partei hat alle Trümpfe in der Hand. In allen Umfragen liegt sie auch mit Abstand an erster Stelle. Allerdings mit schwindendem Abstand. Arena hat enorme Ressourcen in diese Wahlschlacht gesteckt, damit ihr Kandidat Armando Calderon Sol, der ehemalige Bürgermeister von San Salvador, schon im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erreicht. Eine Stichwahl gegen Ruben Zamora soll vermieden werden. So wurde die Stadt mit Flugblättern überschwemmt, die Zamora beim Handschlag mit Fidel Castro zeigen. „Ruben Zamora holt sich Instruktionen von seinem Chef“, heißt es darauf. Bei der Abschlußkundgebung in San Salvador provozierten Calderons Leute am Samstag einen gewalttätigen Zwischenfall – um ihn dann schleunigst den „Rowdies der FMLN“ anzukreiden. Zwei Stunden nach dem Krawall war bereits ein Fernsehspot fertig, der die FMLN für alle Gewalt der letzten 20 Jahre verantwortlich macht. Davon, daß in den letzten Monaten rund vierzig ehemalige Guerilla-Führer von „Unbekannten“ ermordet wurden, spricht Arena nicht. Und das Bild von Bischof Oscar Romero, der 1981 von Todesschwadronen ermordet wurde, wird zwar an vielen Stellen der Hauptstadt gezeigt – Arena bekümmert das nicht.
„Convergencia“-Kandidat Ruben Zamora hat in seinem Wahlkampf persönliche Angriffe auf seine Gegner vermieden. Sein US- amerikanischer Kampagnenmanager Bill Zimmermann hat ihm ein solide fortschrittliches Profil geschneidert, das auch jene nicht abschreckt, für die die linke FMLN nicht wählbar ist. „Ich werde für alle Salvadorianer regieren, aber vor allem für die ärmsten und die entrechteten“, gehört zu seinen radikalsten Versprechungen.
Die Christdemokraten (PDC), die vor fünf Jahren die Regierung an Arena abgeben mußten, scheinen ihre Position als zweite Kraft des Landes an die FMLN abgegeben zu haben. In allen Umfragen krebsen sie um die zehn bis zwölf Prozent der Wählergunst herum – deutlich hinter der Linksallianz. Das liegt an mehreren Spaltungen, die die Partei hinter sich hat, vor allem aber am Stigma der Korruption. Dieses Image sind die Christdemokraten trotz der noch weit korrupteren Arena-Regierung nicht losgeworden. Ruben Zamora, der selbst der PDC angehörte, bis der christdemokratische Präsident Napoleon Duarte vor 14 Jahren inmitten einer beispiellosen Repressionswelle mit den Militärs paktierte, um an der Macht zu bleiben, sieht noch andere Gründe: „Ein Zentrum wie in den USA oder Europa gibt es in diesem Land nicht. Das politische Zentrum ist etwas, was auf einem gesellschaftlichen Grundkonsens beruht. Genau das fehlt hier. Daß es fünfzehn Jahre Krieg gegeben hat, ist wohl der deutlichste Beweis dafür.
Mit dem Friedensprozeß werden langsam die Voraussetzungen für einen Konsens geschaffen. Doch damit sich daraus ein Zentrum entwickelt, müssen sicher noch zehn oder fünfzehn Jahre vergehen. Die Frage ist, ob wir diesen gesellschaftlichen Grundkonsens fördern oder ob wir in die Vergangenheit zurückkehren, mit allen Konsequenzen, die diese Politik mit sich bringen würde.“
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