Exil als Verlust oder Chance

■ „Brückenschlag“: Sylke Tempel im Gespräch mit Peter Gay

Was blieb von der Kultur der deutschen Juden in der Emigration übrig? Wie konnte sie sich behaupten, welchen Einfluß konnte sie gar auf die Kultur des Gastlandes ausüben - darum sollte es in der sonntäglichen Diskussion in den Kammerspielen beim Thema Der Einfluß der deutschen Juden auf die Kultur in den USA nach 1933. Als Gesprächspartner waren geladen: Der an der amerikanischen Ostküste lebende und in Yale unterrichtende Professor Dr. Peter Gay, Freud-Biograph und einer der bekanntesten amerikanischen Kulturhistoriker, und die Berliner Journalistin Sylke Tempel, 1963 geboren und Spezialistin für das Verhältnis amerikanischer Juden zu Deutschland seit 1945.

Peter Gay, 1923 in Berlin geboren, hatte im Info-Zettel zur Veranstaltung lapidar festgestellt: „Meine Eltern und ich sind 1941 nach den USA gekommen. Haben wir Deutsch gesprochen, oder Englisch? Englisch.“

Vielleicht ist es heute schon aus arithmetischen Gründen schwierig, einen Juden auf die Diskussionsbühne zu bringen, für den das Exil das Ende eines kulturell reichen Lebens, ein nicht mehr zu bezwingendes Umdenken und den Verlust aller bekannten Lebensumstände bedeutete. Erfolgreiche Integration im Fluchtland oder das Scheitern an der fremden Sprache und letztlich oft die Flucht in den Selbstmord - das waren vor allem Generationsfragen; was für die Älteren Verlust war, galt den Jüngeren als Chance und Neuanfang, als Aufatmen. Genau zu diesen Jungen, die sich sofort und fast gierig assimilierten, Freunde fanden, und deren eben beginnender Alltag als unabhängige Erwachsene von vorneherein amerikanisch war, gehört Peter Gay. Spannend erzählt er vom ersten Traum in englischer Sprache, schildert das Umlernen, das Loswerden alles Deutschen. Doch dort genau wird auch deutlich, wo seine Grenzen liegen - nicht die, des Interesses an einem Thema, das für ihn selbst nie eines war: deutsche Kultur nicht als vermittelbares Erbe sondern als Ballast. Trotz der anfänglich sehr genauen und zielgerichteten Fragen Sylke Tempels, wurden im zweistündigen téte-à-téte letztlich mehr Allgemeinheiten als wirklich pertinente Antworten geliefert. Angenehm war das, weil sowohl Gay als auch Tempel eine intelligente Präsenz haben - nur der „Einfluß der deutschen Juden auf die Kultur in den USA nach 1933“ ist dadurch nicht wirklich geklärt worden. „Eigentlich ist das Thema sowieso falsch gestellt“, meinte Gay denn auch abschließend: „Es hätte heißen müssen: 'Einfluß Amerikas auf die deutschen Juden' - und der war beträchtlich!“

Thomas Plaichinger