Flucht vor der Polizei in die Kirche

■ Katholische Kirche in Grohn bietet syrischer Familie Asyl an / Freitag ist Abschiebetermin

„Ich möchte nicht, daß die Familie Hanna geht, sonst habe ich keine Freundin mehr zum Spielen“, teilte die neunjährige Georgina gestern der versammelten Kirchengemeinde mit. Ihre Freundin Liana ist vor bald sechs Jahren mit ihrer Familie aus Syrien nach Bremen geflohen und soll am Freitag abgeschoben werden. Gestern feierte die katholische Kirche zur Heiligen Familie in Grohn einen Solidaritätsgottesdienst. Mehrere hundert GrohnerInnen erzählten dort davon, wie die Familie Hanna schon in den Bremer Alltag integriert ist: die drei Kinder (9, 8 und 3) sprächen gut deutsch, die Mutter sei Elternprecherin in der Klasse ihres Sohnes und zudem aktiv im Nachbarschaftsverein Grohner Düne ...

Zum Gottesdienst gekommen war auch ein Vertreter der Senatorin für Ausländerintegration mit einer Grußbotschaft. Darin spricht sich Helga Trüpel eindeutig für den Verbleib der Familie Hanna aus. Am Ende der Messe dann bot Pfarrer Wolfgang Krzizanowski der Familie Asyl in seiner Kirche an.

Der offizielle Asyl-Antrag der Familie Hanna ist dagegen vom Oberlandesgericht endgültig abgelehnt worden: Der Familienvater Gabi Hanna habe zwar seine erzwungene Tätigkeit für den Geheimdienst durch Flucht einfach abgebrochen und würde bei seiner Rückkehr sicher dafür zur Verantwortung gezogen, doch die Flucht setze ihn wohl nicht dem Verdacht aus, ein Gegner des syrischen Regimes zu sein. Eine Bestrafung würde sich also nicht gegen die politische Einstellung Hannas richten, sei damit nicht als politische Verfolgung zu werten.

Amnesty International jedoch sieht viel Dramatischeres auf die Familie zukommen: Regelmäßig würden rückkehrende AsylbewerberInnen verhaftet, verhört und gefoltert. Nach einem Bericht der niederländischen Stiftung Inlia über die Folgen für RückkehrerInnen hat die niederländische Regierung bereits einen Abschiebestop für Christen aus Syrien erlassen.

„Diese Abschiebung ist natürlich sehr schwer nachzuvollziehen, weil die Familie schon so lange integriert ist“, sagte Marita Wessel-Niepel vom Innenressort am Freitag auf Anfrage. Aber – hier könne das Land Bremen einfach nichts unternehmen. Die Anerkennung von Asylgründen sei ausschließlich Sache des Bundesamtes zur Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Der Bremer Innensenator könne eine Abschiebung höchstens aufschieben, und auch nur dann, wenn es zum Zeitpunkt der Abschiebung Hindernisse gebe, wie etwa einen Beinbruch.

„Aber es gibt doch konkrete Abschiebehindernisse“, sagen die UnterstützerInnen der Familie Hanna: allein die drei Kinder. Die waren völlig verstummt und nicht ansprechbar, als sie 1988 in Bremen ankamen, so ein psychologisches Gutachten. Von „schwarzen Männern“ sprachen sie damals häufig. Nach Meinung aller ExpertInnen aus Hort und Schule drohen ihnen bei einer Rückkehr irreparable psychische Schäden, berichtet der Anwalt der Familie, Arnim von Döllen.

Die „schwarzen Männer“ damals waren Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes. Gabi Hanna war durch einen Besuch bei seinem Bruderim Libanon in eine äußerst mißliche Lage geraten: Die Stadt wurde just während des Besuches von syrischen Einheiten angegriffen, Hanna von christlichen libanesischen Milizen zur Verteidigung der Stadt gezwungen. Er half Verletzten. Der syrische Geheimdienst konnte ihm zwar anschließend nichts nachweisen, verweigerte aber dennoch die Unbedenklichkeitsbescheinigung. Die braucht man aber, um eine Arbeit anzunehmen. In seiner Verzweiflung willigte Hanna schließlich ein, für den Geheimdienst zu spitzeln, um die Bescheinigung zu bekommen. Doch der Geheimdienst verlangte immer mehr. Einen Ausweg sah die Familie nur noch in der Flucht.

Die Kirche zum Heligen Geist wäre die vierte Bremer Kirche, die abschiebungsbedrohten Flüchtlingen Asyl bietet: Die evangelische Kirche in Walle hat vor einigen Jahren eine kosovo-albanische Familie aufgenommen, das Verwaltungsgericht ordnete daraufhin eine Wiederaufnahme des Verfahrens an. Die St. Pauli-Gemeinde in Bremerhaven und eine Kirche in Bremen-Nord haben ebenfalls Asyl gewährt, sagt Andreas Weber-Sordon vom Arbeitskreis Kirchenasyl der katholischen Kirche. Rechtlich gesehen stellt das Kirchenasyl eine Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz dar. „Die Kirchenleitung steht hinter uns“, weiß Pfarrer Krzizanowski. Akzeptieren allerdings muß der Bremer Senat das Kirchenasyl nicht, das war einmal. Abschiebungen aus Kirchen hat es jedoch auch noch nicht gegeben. Christine Holch