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Wahl der Waffen

Grunge, Rock, oder „Alternative Rock“ machen viele. Wieso sind gerade Pavement die Band des Augenblicks? Und werden sie es schaffen, den Rock vor der endgültigen Verblödung zu retten? Ein Blick zurück nach vorn  ■ Von Jörg Heiser

Es ist soweit: Seit November 1993 schießt der Underground zurück. Zumindest berichtete der San Francisco Chronicle zu jener Zeit von einem gewissen Jerry Loewinger, der angeblich drei Schüsse auf einen Talentscout von Geffen Records (der Plattenfirma von u.a. Nirvana und Sonic Youth) abgegeben haben soll, nachdem dieser ihn in einem Kaff unweit von San Francisco aufgespürt hatte. Loewinger und seiner Band sollte ein gutdotierter Plattenvertrag angeboten werden.

Die Moral der Anekdote: Der Mainstream braucht den Mythos eines sich abschottenden Underground, damit der Mythos „Underground“ als solcher vermarktbar bleibt. Das Identifikationsmodell des sogenannten Alternative Rock, wie er MTV dominiert, ist langsam definitorisch so ausgereizt, daß es sich nur noch in seiner Entwicklung (nicht im Ergebnis) vom Authentizitäts- und Ehrlichkeitsschweiß des verhaßten Sechziger-/Siebziger-Rocks unterscheidet.

Die Band des Augenblicks

Alles schreit also nach einer kontrazyklischen Reaktion, und eine Band wie Pavement, so scheint es, kommt da wie die Jungfrau zum Kind. Ohne vorausgehende Pop- Strategie oder visionäre Karrieren- Planung im Gepäck scheinen sie einen Umschwung der Imagery- Konjunktur einzuläuten, der das Alternative-Rock-Ding mit einer gehörigen Portion dandyeskem Spott und Understatement vor der Verblödung zu retten verspricht.

Doch Bands wie Pavement scheint es auf den ersten Blick viele zu geben. Bands, die sich die Haare kurz schneiden, Gitarren umhängen und wissen, daß die virtuelle Plattensammlung in ihrem Kopf und das Bandprinzip vielleicht viel wichtiger sind als die Frage, wie oft sie im Gitarrenunterricht waren. Was also macht den Unterschied? Warum sind sie es, die mit ihrem zweiten Album „Crooked Rain/ Crooked Rain“ den kleinen, entscheidenden Augenschlag näher an der Perfektion des Momentes sind? Pavement sind wahrlich keine Virtuosen – zumindest nicht für strenge Musiklehrer.

Aber natürlich sind sie es doch: Virtuosen des geglückten Augenblicks. Wahrscheinlich hätte man früher „geniale Dilettanten“ gesagt, aber das könnte in diesem Fall den Eindruck erwecken, Pavement seien bloß gut gedacht. Aber sie funktionieren einfach so, ihre Songs sind auf einer vermittelten Ebene überhaupt nicht dilettantisch. Es ist die Sicherheit in der Wahl der Waffen, eine Koinzidenz von Stimmenschlag, Sound der Wörter, Songtiteln, Cover-Artwork und Gitarrenarrangements, die am Ende den Gesamteindruck nahezu perfekter Stimmigkeit hervorruft. Etwas im Sound von Pavement hält den Gedanken an die Macht des Rock'n'Roll wach, reflektiert aber zugleich seine (Verfalls-)Geschichte. Und so inszeniert das Eröffnungsstück von „Crooked Rain/ Crooked Rain“ eine Situation, die schon wieder historisch ist: Das „Silence Kid“, um das es geht, soll sich bloß nicht von Eltern, Großeltern, Geschwistern und anderen Finsterlingen des Establishments vom Rock'n'Roll abhalten lassen.

Hör nicht auf deine Großmutter!

Mit fast schon aufdringlicher Ironie antwortet Pavement-Sänger Steven Malkmus auf meine Frage nach dem Sinn dieser Ermunterung: „Wir wollen sagen: Hör nicht auf deine Großmutter, komm mit uns, rauche einen Joint, get into the groove.“

Worauf Bassist Steve sich denn doch bemüßigt fühlt, ein paar erklärende Worte abzugeben: „Das ist ein eher unernst gemeintes Teen-Szenario, genauer gesagt ein altmodisches. Eltern glauben nicht mehr, ihre Kinder von Bands wie uns fernhalten zu müssen. Dieses Szenario ist nicht mehr als ein altes, schönes Gefühl.“

Steven Malkmus ist unterdessen selbst zu genauerer Erklärung bereit: „Ich wollte als Kid auf ein Alice-Cooper-Konzert gehen, aber meine Eltern ließen mich nicht. Das gleiche mit den Dead Kenne

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dys. Sie sagten: Tut uns leid, du kannst dir die Dead Kennedys nicht ansehen. Ich war fünfzehn. Ich spreche in dem Song also mit der Stimme des Jello Biafra [Sän- ger der Dead Kennedys; Anm.] von damals.“

Der Witz ist allerdings, daß das Stück dann nicht als aufgedrehter Punk-Knaller, sondern als entspannter Midtempo-Song daherkommt. Die Musik sagt, was der Text aus Rücksicht auf die schöne Nostalgie verschweigt: Mittlerweile sind Eltern Leute, die mit Rockmusik aufgewachsen sind; sie würden ihren Kids eher noch den Techno-Rave als das Punk-Konzert verbieten.

Skateboarder- Monologe

Noch in einem weiteren zentralen Song der Platte spielt das Kid von der Straße eine herausragende Rolle. Das verträumte, countryfizierte Dahinperlen von „Range Life“ bildet den kontrapunktischen Hintergrund zum cool gehauchten inneren Monolog eines jungen Skateboarders, der, so ganz nebenbei, mal zum Ausdruck bringt, was Morissey in einer Textzeile für die Ewigkeit festgehalten hat: „... cause the music they constantly play says nothing to me about my life“.

Die Musik, die den jungen Skateboarder kaltläßt, kommt von den Stone Temple Pilots und den Smashing Pumpkins, Grunge-Mutanten im Spätstadium also; wir dürfen uns vorstellen, daß Texter Steven Malkmus sich so einen jungen Skater wünscht, für den die Stone Temple Pilots „elegante Junggesellen“ sind, die er echt „foxy“ findet („heiß“, wie man in den Siebzigern sagte) und die ihn trotzdem oder gerade deswegen einen Scheiß interessieren.

Auf die Frage, ob es sich hier um eine besonders ausgefuchste Form von dissing handelt (dissing als Kurzform von disrespecting ist das, oft spielerische, „Runterputzen“ eines anderen Rappers im HipHop), läßt Malkmus keinen Zweifel daran, daß er Ambivalenzen nicht im nachhinein ins Eindeutige kommentieren will: „Die Stone Temple Pilots sind die besten und klügsten, so sagt man. Ich habe nichts als Respekt für sie.“ Das Raffinierte an „Range Life“ ist, daß Malkmus gerade dadurch Rock'n'Roll-Qualitäten rettet, daß er die Eindeutigkeit derer verabschiedet, die sich zwanghaft auf dieses Freiheitspotential berufen.

Der „Nostalgie-Trick“

Die Helden seiner Songs sind verwirrte Rebellen, und gerade in dieser Verwirrung liegt für Malkmus eine dissidente Kraft. Grunge als letztes Lebenszeichen des Rock wird dabei selbst schon wie im nostalgischen Rückblick besungen. Während Grunge selbst noch meinte, aufarbeitende Nostalgie der frühen Siebziger zu sein, behandeln Pavement ihn als irgendwie dunkel erinnerten Witz der Musikgeschichte, der gerade mal für ein „Weißt du noch ...“ gut ist.

Auch im letzten Song der Platte arbeitet Malkmus mit diesem „Nostalgie-Trick“, diesmal, indem er die Stimme eines alten Hippies annimmt. Der „Fillmore Jive“ (das „Fillmore“ war ein berühmter Rockclub im San Francisco der Hippie-Ära) beginnt mit einem elegischen „Ich muß schlafen, warum laßt ihr mich nicht schlafen“ – als spreche der Rock'n'Roll selbst, wie er nach ständigen Wiederbelebungsversuchen als Zombie durch die Gegend wankt. Steven Malkmus: „Ich stellte mir vor, wie eine müde Band im ,Fillmore‘ spielt, sagen wir, die Paul Butterfield Bluesband oder Quicksilver Messenger Service, während der Zeit, als Jefferson Airplane den ganzen Ruhm einheimsten. Ich stellte mir vor, wie so eine Band morgens um vier spielt, wenn keiner mehr richtig zuhört, versetzte das aber in den heutigen Kontext. Der Sänger würde sich über die Zustände auslassen, um sich am Ende eine Prise Koks reinzuziehen, wie das damals wohl auch war. Diese Ära existiert nicht mehr, ich verurteile sie auch nicht, ich bin eher traurig über sie – die Zeiten, als Clapton die Leute mit seinem Gitarrenspiel wirklich noch fesseln konnte und Dylans Texte tatsächlich etwas bedeuteten. Ich denke, heute kriegen die Rockmusiker nur noch Schlagzeilen, wenn sie in Louisiana in eine Schlägerei verwickelt waren oder eine Überdosis genommen haben.“ Und tatsächlich: Wenige Tage vor meinem Interview mit Pavement höre ich in den „CNN Headline News“ des amerikanischen Truppen-Radiosenders in Deutschland, CFM (also in der Hauptnachrichtensendung), von Nirvana-Sänger Kurt Cobains Krankenhausaufenthalt nach seiner Schlaftabletten-Vergiftung. Natürlich ist das ein eigentlich altmodisches Motiv der Rockgeschichte, aber obwohl Cobain diese ganze Drogen- und Unglücklicher-Held-Theatralik wie ein nicht zur Ruhe gekommener Zombie noch einmal leben muß, ist sie trotzdem nach wie vor „Staatsangelegenheit“.

Die Klassiker-Falle

Pavement haben die Souveränität ihrer Position sozusagen aus dem Stand erreicht; ihr Debüt-Album „Slanted and Enchanted“ (1992) war ein inhomogener, in wesentlichen Teilen von repetitiven, perkussiven Stücken geprägter Werkzeugkasten und nicht wie jetzt „Crooked Rain/Crooked Rain“ ein fast gänzlich der Songidee verpflichtetes Uhrwerk. Das schafft Verpflichtungen. Steven Malkmus läßt im Interview keinen Zweifel daran, daß sich Pavement des sozusagen „vorverlegten“ Klassiker- Status bewußt sind, auch wenn sie vielleicht auf Konzerten manchmal wie eine schon deutlich coole, aber immer noch leicht ungelenke Schülerband wirken.

Wenn man Malkmus fragt, wie man eine dramaturgisch so geschickt getimte Platte konzipiert, ohne über den eigenen Eifer zu stolpern, wird man an die Qualität der Reduktion erinnert, die diese Band schon vorher ausgezeichnet hat – nur daß in diesem Fall die Reduktion nicht vornehmlich im Song selbst stattfindet, sondern darin, daß die Band aus 25 aufgenommenen Stücken strikt nur zwölf auf die Platte übernimmt, um die klassische Vierzig-Minuten- Länge zu wahren: „Die besten Songs sind die, die am längsten wirken. Einige von den anderen Songs, die wir ursprünglich für die Platte aufgenommen, aber dann nicht mit drauf genommen haben, sind gute Einzeiler, aber sie sind wie Witze, die man nicht mehr als einmal erzählen will. Ich mag Filme, die man mehr als einmal sehen will.“

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