: Knall im Kessel statt Loch im Ozon
Bei der Hoechst-AG ist der neue Ersatzstoff für die alten Ozonkiller schon im Lagertank explodiert: Schock für den pensionsreifen Konzernchef Hilger ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt
Vor einem Rätsel stehen die Ingenieure der Hoechst AG in Frankfurt am Main. Auch am Sonntag konnten sich die Hausexperten immer noch nicht erklären, wie und warum es am Freitag abend im Stammwerk Höchst in der Anlage zur Herstellung des FCKW-Ersatzstoffes „R 134a“ zu einer Explosion hatte kommen können. Fluorierte Kohlenwasserstoffe und „eine kleine Menge Schwefelsäure“ seien „freigesetzt worden“, teilte die Firma mit.
Eine Gefahr für die Umwelt habe nicht bestanden. Peinlich nur, daß diesmal eine Chemikalie in die Luft ging, die für den Chemieriesen Ökopunkte gegen die pfiffigere Konkurrenz sammeln sollte: Hoechst hatte einst gegen den FCKW-freien Ökokühlschrank der Firma „Foron“ argumentiert, das dort eingesetzte Kühlmittel Propan könne viel zu leicht explodieren. Nun mußte der Konzernsprecher Ludwig Schönfeld gestern vermelden, in der erst vor sechs Wochen fertiggestellten, 40 Millionen Mark teuren Anlage sei „möglicherweise ein Vorratsbehälter“ mit dem angeblich sicheren R 134a explodiert. Noch am Sonnabend hieß es, daß wahrscheinlich eine bei Reparaturarbeiten verwendete Acetylen-Gasflasche detoniert sei.
Wie das hessische Umweltministerium mitteilte, wurde die entwichene „weiße Wolke“ von der Feuerwehr mit einem Wasserschleier bekämpft. Sowohl die von der Berufsfeuerwehr als auch von der Hoechst AG umgehend eingesetzten Gasmeßwagen ermittelten danach Meßwerte unterhalb der Nachweisgrenze. Auch das Ministerium wies darauf hin, daß R 134a nicht giftig sei.
Allerdings besitzt auch der von Hoechst entwickelte FCKW-Ersatzstoff ein hohes Treibhauspotential. Insgesamt seien bei der Explosion 1,5 Tonnen R 134a freigesetzt worden. Zwei Mitarbeiter, die nach der Detonation über Hörschäden klagten, haben sich zur ambulanten Untersuchung in ein Krankenhaus begeben.
Die Explosion zerstörte etwa ein Viertel der gesamten Anlage, in der die Hoechst AG — als einziger Hersteller in Deutschland — den Ersatzstoff für den Ozonkiller FCKW im großen Stil produzieren wollte. In knapp einem Monat sollte die alte FCKW-Produktionsanlage endgültig stillgelegt werden. Jetzt ist ruht erst einmal die R 134a-Produktion — durch Verfügung von Umweltminister Joschka Fischer (Bündnis 90/Die Grünen). Wie ein Sprecher der Hoechst AG am Sonntag versicherte, habe der Konzern die Produktion des Kältemittels auch im Werk Suzano in Brasilien gestoppt — „bis zur Klärung der Explosionsursache“. Über die Höhe des im Stammwerk entstandenen Sachschadens konnte der Sprecher noch keine Angaben machen: „Jetzt ist erst einmal die Stunde der Sachverständigen und der Experten.“ Dazu gehören auch Kriminalbeamte, denn erst vor wenigen Wochen war der R 134a-Produktionsanlage von den staatlichen Gutachtern die „Funktionsfähigkeit“ bescheinigt worden.
Für Konzernchef Wolfgang Hilger, der in fünf Wochen in Pension geht, war der erneute Störfall in seinem Werk offenbar ein Schock. Hilger nahm zwar an der Pressekonferenz zum Unfall teil, sagte aber kein einziges Wort. Gerade mit der R 134a-Produktion wollte Hilger den angeschlagenen Chemieriesen wieder konsolidieren. Jetzt muß Hoechst hoffen, die bereits abgeschlossenen Lieferverträge für das Kühlmittel mit Hilfe ausländischer Hersteller doch noch erfüllen zu können.
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