piwik no script img

Nichts als deutsche Törtchen

Zerbröselte Fassade, gigantische Betonklötze als Nachbarn und kaum noch Gäste: Im Johannesburger Café Kranzler bleiben die Gäste weg  ■ Von Kordula Doerfler

Der schmale langgezogene Raum strahlt deutsche Sauberkeit aus. Nur selten kommen mehr als fünf oder sechs Gäste auf einmal. Das Café Kranzler hat schon bessere Zeiten erlebt. Die Rede ist nicht vom Berliner Vorbild am Kurfürstendamm, das ebenfalls über Umsatzverluste zu klagen hat, sondern vom Kranzler auf der anderen Seite der Erde, in Hillbrow, einem Stadtteil im südafrikanischen Johannesburg.

Das Kranzler in Hillbrow liegt in einem heruntergekommenen zweistöckigen 50er-Jahre-Bau, an dessen Fassade die Farbe abblättert, eingekeilt zwischen einem riesigen Betonklotz und schäbigen Hochhäusern. Von außen wirkt es unscheinbar, ohne weiteres würde man sich hier nicht hineinverirren. Die Gäste sind in der Mehrheit Deutschstämmige, ältere Leute meist, daneben Südafrikaner britischer Herkunft und vereinzelt auch Touristen. Cafés mit europäischem Charakter sind rar in Johannesburg, Cafés mit gutem Kuchen geradezu exotisch. Traditionellen Wiener Kaffeehäusern steht das Johannesburger Kranzler jedoch deutlich nach.

Im vorderen Teil ist die Küchentheke, mit Eichenholzimitat getäfelt. Sacher- und Linz- und Schwarzwälder Kirschtorte, Strudel, Croissants und Brötchen werden kredenzt. Und sogar dunkles Brot, eine Rarität in Südafrika. Vier bis fünf Rand (etwa zwei Mark fünfzig) kostet ein Stück Torte. Selbst die Schokolade mit der lila Kuh und Mozartkugeln kann man hier zu sündhaft teuren Preisen erstehen.

Im hinteren Teil steht ein gutes Dutzend kleiner Holztische, weiß lackiert, mit geblümten Wachstuchdecken und rustikalen Stühlen. Blickfang ist die Stirnwand, die eine Fototapete mit einer Aufnahme der Berliner Friedrichstraße aus den zwanziger Jahren ziert. An den Wänden hängen historische Stiche von Nürnberg, Stuttgart, Heidelberg und Frankfurt am Main. Und da: zwei Reproduktionen von Zille, „Der Zeitungsverkäufer“ und „Der Schornsteinfeger“.

Wer opulent und preiswert frühstücken will, ist hier am richtigen Ort. Drei Sorten Frühstück werden angeboten, Continental, English und Grand. So ist denn auch morgens zwischen neun und elf Uhr Konjunktur. Dennoch: „Das Geschäft könnte besser gehen“, gibt Frau Rosi zu. Die gebürtige Deutsche – nennen Sie mich einfach Frau Rosi – lebte 27 Jahre lang in Hillbrow und arbeitet fast von Anfang an im Kranzler. Vor zwei Jahren ist sie weggezogen. „Es ist nicht mehr angenehm hier“, sagt sie, „nichts ist mehr wie früher.“ Früher, das war vor Aufhebung der Apartheid. Das „neue Südafrika“, ein geflügeltes Wort vor den ersten freien Wahlen Ende April, macht auch vor dem Café Kranzler nicht halt. Früher war Hillbrow, am Rande der Johannesburger Innenstadt gelegen, ein rein weißer Bezirk, in dem viele europäische Emigranten lebten. Seitdem auch Schwarze hier wohnen dürfen, die vor der Abschaffung der Rassengesetze nur als Hausangestellte erlaubt waren, hat der Bezirk radikal sein Gesicht verändert. Hillbrow ist laut und höchst quirlig. Es gilt als einer der am dichtest besiedelten Quadratkilometer der Welt. Ein hartes Pflaster, mit Prostitution, Sex-Shops und Rotlicht- Bars, aber auch Banken und ganz normalen Geschäften. Einer der wenigen Orte im calvinistischen Südafrika, in dem es ein Nachtleben gibt.

Auf den Straßen sitzen Dutzende von fliegenden Händlern, die Obst und Gemüse, Billigjeans, Schmuck und afrikanisches Kunsthandwerk verkaufen. Die meisten Weißen – die potentielle Kundschaft für das Kranzler – fühlen sich hier nicht mehr sicher, sind weggezogen, so wie Frau Rosi. „Ich gehe nur noch einmal in der Woche aus meiner Wohnung auf die Straße“, sagt eine alte Frau, die schwer asthmatisch keuchend vor der Fototapete ihren Kaffee schlürft. „Dann komme ich auch hierher, das ist mein einziger Luxus.“ Warum sie geblieben ist? „Ich bin alt und krank, ein altes Gewächs soll man nicht verpflanzen.“ Außerdem kann sie es sich nicht leisten, in einen der teuren weißen Bezirke zu ziehen.

Früher sei das eine sichere Wohngegend gewesen, jetzt hat sie Angst vor Handtaschendieben, vor der hohen Kriminalität. Früher – das Wort fällt häufig – war das Café Kranzler die „kosmopolitische Achse von Südafrika“, so Peter Egenrieder, Besitzer des Cafés. Der 47jährige kam 1970 vom Bodensee nach Johannesburg, um hier deutsche Konditoreien aufzubauen. Jeden Nachmittag schaut er in der letzten von ehemals sieben Kranzler-Niederlassungen nach dem rechten. Vor allem deutsch- jüdische Emigranten, die vor den Nazis geflohen waren, bildeten das Stammpublikum in den guten Jahren des Cafés. Nur noch wenige von ihnen sind heute noch am Leben. „Früher wurde hier überall deutsch gesprochen, alle Restaurants waren in deutscher Hand“, erinnert er sich. Heute ist nur noch das Konsulat in Hillbrow, neben der deutschen Kirche. „Wenn es noch schlechter wird, müssen wir vielleicht auch hier schließen“, befürchtet Egenrieder.

Schon vor Jahren hat er die Großhandelslizenz der schweizerischen Konditorei Geneva Swiss übernommen, deren Stammhaus in Sandton, einem reichen Villenvorort Johannesburgs, liegt, und ist damit reich geworden. 30 Leute arbeiten dort in der Bäckerei, die Kuchen und Torten an Cafés, Hotels und internationale Fluggesellschaften liefert und zu Weihnachten – im südafrikanischen Hochsommer – den Bedarf der großen deutschen Community an Stollen deckt. Peter Egenrieder hofft, das Café Kranzler halten zu können. „Das ist hier doch fast so eine Institution wie das Kranzler in Berlin.“ Und vertraut auf die Qualität seiner Kuchen und darauf, daß es weiterhin ein Publikum dafür geben wird. „Wir danken Ihnen für Ihren Besuch“, heißt es in der Speisekarte auf deutsch, „sollten Sie in unserem Lokal Grund zur Beschwerde haben, wenden Sie sich an uns. Wenn Sie zufrieden sind, empfehlen Sie uns bitte weiter. Auf Wiedersehen!“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen