: Pflegewohnheim statt Krankenhaus
■ Im Zuge der Geriatrie- und Psychiatriereform will der Senat 5.000 Krankenhausbetten umwandeln 1.000 Akutbetten werden gestrichen / Krankenkassen fordern zusätzlich Abbau von 2.000 Betten
6.000 Krankenhausbetten will der Senat bis Ende 1997 abbauen. Davon entfallen 1.500 Betten auf die Psychiatrie und 3.500 auf Chronikerbetten, die vor allem von alten Menschen belegt werden. Das sieht der Krankenhausplan '93 vor, den gegenwärtig der Gesundheitsausschuß des Abgeordnetenhauses berät. Die Betten werden jedoch nicht ersatzlos gestrichen, sondern im Zuge der Geriatrie- und Psychiatriereform in Pflegewohnheime verlagert. In der Psychiatrie soll die ambulante Versorgung ausgebaut werden. PatientInnen sollen schneller aus den nüchternen Krankenhauszimmern hinaus und in eine persönlichere Umgebung wechseln können. Der Aufenthalt in den Pflegewohnheimen soll möglichst nicht länger als zwei Monate betragen. Die ärztliche Versorgung wird hier durch Hausarztbesuche oder ständig anwesende Ärzte sichergestellt.
Ziel der Reform ist es, die Fehlbelegung von Betten und die Verweildauer im Krankenhaus zu verringern und damit Kosten zu senken. Im Vergleich zu westdeutschen Krankenhäusern sind Berliner Hospitale bislang teurer. Dort wurden entsprechende Reformen in den 80er Jahren durchgeführt.
Während die Umwandlung der geriatrischen und psychiatrischen Betten unumstritten ist, stößt die Streichung von etwa 1.000 Akutbetten teilweise auf Widerspruch. Gegen die Streichung von 116 internistische Betten im Kreuzberger Urbankrankenhaus werden derzeit Unterschriften gesammelt. Das Problem: Das Krankenhaus gehört zum Versorgungsgebiet Mitte, wo sich die Unikliniken Charité, Rudolf-Virchow-Krankenhaus und sieben weitere Hospitale ballen. „Die großen Kliniken erdrücken die kleinen Häuser“, bemängelt Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher von Bündnis 90/Grüne im Abgeordnetenhaus. Er hält den „überproportionalen“ Bettenabbau im Urbankrankenhaus für nicht gerechtfertigt. „Rechnet man die Unibetten raus, sieht man, daß kein Überangebot an internistischen Betten besteht.“ Denn die Unikliniken werden zu etwa einem Drittel von PatientInnen aus dem Umland Berlins belegt. Das Nachsehen haben die KreuzbergerInnen. Sie müssen künftig möglicherweise auf weiter entfernte Krankenhäuser ausweichen. Doch in der Gesundheitsverwaltung hält man an dem Vorhaben fest. Staatssekretär Detlef Orwat sieht auch ohne Unibetten ein Überangebot an internistischen Betten.
Geringfügige Bettenstreichungen sind nach dem Krankenhausplan '93 auf eine Vielzahl von Krankenhäuser verteilt. Größere Einbußen müssen die Charité mit 200 und das Krankenhaus Buch mit 500 Betten hinnehmen. Bettenabbau muß nicht zu einer Verschlechterung der Versorgung führen. Als Folge neuer Behandlungsmethoden und ambulanter Operationen werden in Zukunft weniger Betten benötigt. Staatssekretär Orwat nennt ein Beispiel: Die urologische Abteilung im Urbankrankenhaus habe einen Nierensteinzertrümmerer erhalten, was die Dauer des Krankenhausaufenthaltes verkürze. Deshalb könnten dort jetzt 17 Betten abgebaut werden.
Offen ist noch, wie sich der Senat zur Forderung der Krankenkassen verhält, zusätzlich 2.000 Betten abzubauen. Die Kassen kritisieren, daß die Gesundheitsverwaltung im Krankenhausplan für das Jahr 1998 einen Bedarf von 28.180 Betten errechnet hat, der Plan aber 30.400 Betten vorsieht.
1.000 Betten sollen allein an den drei Unikliniken gestrichen werden, fordert die Arbeitsgemeinschaft der Berliner Krankenkassen in einem Schreiben vom 21. Januar an den Regierenden Bürgermeister. Abspecken sollen außerdem die Krankenhäuser Neukölln (300 Betten), das Klinikum Buch (821 Betten) und das Auguste-Viktoria-Krankenhaus mit bis zu 180 Betten.
Über diese Vorschläge wird jedoch nicht im Rahmen des Krankenhausplanes '93 entschieden werden, erklärte Orwat vergangene Woche im Gesundheitsausschuß. Da es sich um starke strukturelle Veränderungen handle, müsse dies bis zum Frühsommer geprüft werden. Er mahnte zugleich an, mehr über effiziente Strukturen und Organsiationsabläufe an den Krankenenhäusern zu diskutieren, anstatt immer nur über Bettenzahlen.
Das Abgeordnetenhaus wird voraussichtlich Ende April über den Krankenhausplan abstimmen. Danach werden Gesundheits- und Sozialverwaltung gemeinsam mit den einzelnen Häusern Gespräche über die Umsetzung führen, für die in diesem Jahr 160 Millionen Mark zur Verfügung stehen.
Ein Konzept für die Geriatriereform will die Sozialsenatorin Ingrid Stahmer im Mai vorlegen. Eine „Arbeitsgruppe Geriatriereform“ am Krankenhaus Neukölln war schneller und hat bereits ein eigenes Konzept ausgearbeitet. Danach soll die „geriatrische Versorgungskette“ aus sechs Elementen bestehen: Eine geriatrische Abteilung am Krankenhaus Neukölln übernähme die akute Behandlung. Hier soll auch eine Pflege-Wohn- Rehabilitationseinrichtung mit Kurzzeitaufnahme entstehen. Als ergänzende Einrichtungen werden u.a. ein Tagespflegeheim und eine Sozialstation vorgeschlagen. Auch diese Aufgaben könnte, so die Arbeitsgruppe, das Krankenhaus Neukölln übernehmen. Eine Kontinuität bei Behandlung und Betreuung sei im Interesse der alten Menschen, denen nach dem Krankenhausaufenthalt ein möglichst selbständiges Leben ermöglicht werden soll. Wichtig sei auch eine enge Kooperation zwischen den Einrichtungen der „Versorgungskette“. Dorothee Winden
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