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"Konservativ muß nicht schlecht sein"

■ Heute wird die Hamburgerin Lore Maria Peschel-Gutzeit zur Berliner Justizsenatorin gewählt: Sterile Spritzen für drogenabhängige Häftlinge wird es auch mit iihr nicht geben, vielleicht aber eine ...

taz: Frau Peschel-Gutzeit, einige juristische Fachleute der SPD halten es für eine „verheerende Fehlentscheidung“, daß Sie Berlins neue Justizsenatorin werden sollen.

Eine von auswärts kommende Person wie Sie, bemängeln die Kritiker, habe keine Ahnung von den hiesigen Problemen und werde von der Justizverwaltung einfach ausgetrickst.

Lore Maria Peschel-Gutzeit: Man muß sich entscheiden. Will ich für ein schwieriges Amt einen Menschen mit einer unbestrittenen fachlichen Qualifikation oder jemanden mit intensiven Kenntnissen der hiesigen Szene, oder beides? Man hat mir berichtet, die gewünschte Kombination sei im Augenblick in Berlin nicht zu haben.

Es lag wohl eher daran, daß keine geeignete Frau zu haben war.

Daß ich „nur“ angesprochen worden bin, weil man in Berlin keine Frau fand, weise ich zurück. Ich bin in meinem ganzen Leben noch nicht über ein reines Frauenticket gefahren. Das paßt auch nicht zu meinem Jahrgang und meiner Biographie. Ich bin gefragt worden, weil ich eine ausgewiesene Justizfachfrau und soeben ausgeschiedene Justizsenatorin bin.

Worauf werden Sie den Schwerpunkt Ihrer künftigen Arbeit legen?

Neu für mich ist die justitielle Aufarbeitung des DDR-Unrechts: Regierungs- und Vereinigungskriminalität, Rechtsbeugung und so weiter. Mit diesen Themen werde ich mich verstärkt auseinandersetzen.

Wie stehen Sie zu einer Amnestie?

Der Rechtsstaat steht vor einer riesigen Aufgabe, hat nur begrenzte Mittel und muß sich deshalb auf die Verfahren mit einem erheblichen Unrechtsgehalt konzentrieren.

Deshalb gibt es gute Gründe, sogenannte „kleine Fische“ laufen beziehungsweise sie wieder schwimmen zu lassen.

Böse Berliner Zungen behaupten, Ihre Vorgängerin im Justizressort, Jutta Limbach, habe in ihrer langen Amtszeit nicht einmal gelernt, die Teilanstalten der Knäste auseinanderzuhalten. Was für einen Stellenwert hat der Strafvollzug für Sie?

Die Knäste stehen für mich an hervorragender Stelle. In Hamburg habe ich die Anstalten oft aufgesucht. Ich hatte enge Kontakte zu den Insassenvertretungen und habe häufig an den Anstaltsleiterkonferenzen und den großen Dienstbesprechungen teilgenommen.

Ich behaupte, das ist ein Grund dafür, warum ich immer sehr früh von den wirklichen Mißständen im Knast erfahren habe und diese häufig auch abstellen konnte.

Treten Sie für eine Kurskorrektur im Berliner Strafvollzug ein, das heißt, sind Sie für einen offenen Vollzug und ambulante Maßnahmen?

Die Korrektur des Kurses kommt für mich erst und nur dann in Betracht, wenn ich ihn kenne und für korrekturbedürftig halte. Alles andere wäre unseriös. Generell ist der offene Vollzug besser geeignet, Insassen auf das Leben draußen ohne Straftaten vorzubereiten, vorausgesetzt freilich, daß sie in der Anstalt bleiben, also nicht fliehen. Hier liegt heute – Stichwort Drogen – ein großes Problem.

Die Männerknäste sind rappelvoll. Wollen Sie das Problem, so wie Ihre Vorgängerin, durch teure Neubauten lösen oder nach Alternativen suchen?

Denkbar wäre doch zum Beispiel durchaus ein Vollstreckungsstopp für geringe Haftstrafen.

Einen solchen Vollstreckungsstopp habe ich in Hamburg im letzten Herbst angeordnet. Gefangene mit anderthalbjährigen Freiheitsstrafen sollten nach Verbüßung der Hälfte entlassen werden. Wenn sie innerhalb von zwei Jahren nicht rückfällig würden, sollte ihnen der Strafrest erlassen werden. Verurteilte mit geringeren Strafen wurden aus Kapazitätsgründen gar nicht erst zum Haftantritt geladen.

Mein Nachfolger hat diese Anordnung inzwischen rückgängig gemacht.

Wie stehen Sie zu dem Vorhaben Ihrer Vorgängerin Jutta Limbach, draußen in Buch ein Vollzugskrankenhaus für 170 Millionen Mark zu errichten, obwohl die Gefangenen auch in den innerstädtischen Krankenhäusern medizinisch versorgt werden könnten?

Ich werde mir das Vorhaben sehr genau angucken, aber ich glaube nicht, daß ich davon abrücken werde, weil ein normales Krankenhaus nicht die erforderliche Sicherheit gewährleisten kann.

In den Berliner Knästen gibt es Hunderte drogenabhängiger Insassen. Werden Sie dafür sorgen, daß hinter Gittern endlich eine Methadon-Substitution möglich wird?

Ich werde mich sehr darum bemühen.

In Hamburg gibt es dieses Programm ja schon länger.

Als ich im Sommer 1991 anfing, gab es nur ein winziges Methadon- Programm für Gefangene, die schon vor ihrer Inhaftierung substituiert worden waren. Ich habe dafür gesorgt, daß in drei weiteren Anstalten erstmals Methadon ausgegeben wurde. Gefangene, die es wollen, können einen weichen Entzug im Zentralkrankenhaus unter Zuhilfenahme von Methadon bekommen. Außerdem haben wir ein großes internes und externes Drogenberatungsprogramm etabliert. Eine Reihe von Drogenberatungsinstitutionen, die von der Justiz finanziell bezuschußt werden, können in die Anstalten gehen und die Gefangenen somit auch nach ihrer Entlassung weiterbetreuen. Außerdem habe ich die Hamburger Initiative der medizinalisierten Abgabe von Heroin an Schwerstabhängige voll mitgetragen. Bürgermeister Voscherau hat es propagiert, und wir haben es in unserem Haus ausgearbeitet.

Wie steht es mit der Vergabe von sterilen Spritzen an drogenabhängige Insassen?

Das ist ein anderes Kapitel. In keiner Haftanstalt Deutschlands werden Spritzen verteilt, weil die Gesetzeslage dagegenspricht. Das zweite Problem ist die Gefährdung der Bediensteten. Die Spritzenvergabe würde bedeuten, daß jeder Gefangene die Beamten damit bedrohen könnte. Das Gegenargument, die Gefangenen hätten auch jetzt schon Pumpen, zieht nicht. Denn sie verbergen diese Pumpe aus Angst, sie könnte ihnen abgenommen werden.

In diesem Punkt ist von Ihnen also keine Änderung zu erwarten?

Für die Wirtschaft müßte es ein leichtes sein, einen anderen Applikationsapparat zu entwickeln. Wenn es etwas gäbe, was nicht zugleich eine Waffe in der Hand eines Insassen wäre, würde ich mich mit dem Gedanken befassen.

In Hamburg gibt es nach Paragraph 31a Betäubungsmittelgesetz eine Richtlinie, nach der der Besitz von Kleinstmengen an Drogen zum Eigenverbrauch nicht strafrechtlich verfolgt wird. Werden Sie diese Richtlinie auch in Berlin erlassen?

Ich muß mich erst einmal sachkundig machen, wie dieses Problem in Berlin gehandhabt wird, ob also der Besitz von Kleinstmengen an Heroin zum Eigenverbrauch angeklagt wird oder nicht. Erforderlichenfalls werden hierüber zügig Gespräche zu führen sein.

Bei Heroin-Kleinstmengen wird immer angeklagt. Wie stehen Sie zu der Forderung nach Legalisierung von Haschisch und Marihuana?

Deutschland kann Haschisch und Marihuana nicht legalisieren, übrigens ebensowenig wie andere Länder. Dem steht das internationale Suchtstoffabkommen entgegen. Im übrigen gilt es, die Erfahrungen, die in den Niederlanden mit der stillschweigenden Duldung beider Substanzen gemacht worden sind, kritisch auszuwerten. Daran fehlt es zur Zeit.

Der SPD-Fachausschuß Justiz und Inneres hat unlängst eine sehr kritische Bilanz der Justizpolitik von Jutta Limbach gezogen und ist zu dem wörtlichen Fazit gekommen, daß der „dominierende, erzkonservative Teil weiterhin das Handeln der politischen Spitze in allen Bereichen“ bestimmt. Erschreckt Sie das?

Daß die Justiz viele konservative Elemente in sich birgt, ist nach meiner Erfahrung ein Strukturelement jeder Justiz, wobei konservativ an sich nicht schlecht sein muß. In Hamburg habe ich mich an vielen Stellen durchgesetzt, denn gerade mit Personalentscheidungen steht und fällt ja vieles. Ich habe viele hervorragende, fortschrittliche und sozial engagierte Mitarbeiter eingestellt und auch mit gutem Erfolg versucht, Frauen durchzusetzen. Schließlich sagt es etwas über die Justizverwaltung aus, daß nur so wenig Frauen an führender Stelle sind.

Die reformunwilligen Mitarbeiter in der Berliner Justizverwaltung werden nun Ihre maßgeblichen Berater sein.

Wer aus einem so schwierigen Ressort wie ich kommt – in Hamburg haben sich die Justizsenatoren teilweise nach wenigen Monaten abgewechselt –, weiß Ratschläge zu gewichten.

Als das Berliner Verfassungsgericht Erich Honecker aus der Haft entließ, hat Ihre Vorgängerin dem Generalststaatsanwalt bei dessen Protestbrief „Formulierungshilfen“ geleistet. Was werden Sie tun, wenn Ihnen ein Gerichtsurteil nicht paßt?

Wenn ich etwas achte, dann ist es die Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Sie bürdet den Gerichten freilich eine große Eigenverantwortung auf, die nicht immer angenehm ist. Interview:

Plutonia Plarre und Dirk Wildt

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