: Zärtliches Sezieren
■ Große Doillon-Retrospektive im fsk: 14 Filme über die Liebe, ob so oder so
Gleich beim ersten Streifzug durch sein Haus macht sie Beute: ein Päckchen Tampons, einen Becher mit ca. 20 Zahnbürsten und den Abdruck einer fremden Hand auf der Tür. Seit etwa einem Jahr sind sie zusammen. Diesen Sommer hat er (Alain Souchon) sie (Jane Birkin) das erste Mal in sein Haus in den Alpen mitgenommen. Er weiß, was sie dort finden wird. Und sie weiß es auch. Keine Teenager mehr, die zwei. Erwachsene. Und Erwachsene hatten immer schon andere Lieben vor dieser.
Auch das Haus nennt er „sie“. Das ist leicht zu verstehen. Es ist ein sehr schönes Haus, aus Naturstein gebaut, der in Sanftmut gealtert ist, mit einem Swimmingpool und einer Dachterrasse, auf die die Berge hinuntersehen. Sie preßt ihre Nase auf die Matratze, den Liegestuhl, die Steine der Terrasse und flucht: „Nichts riecht jungfräulich hier.“ Sie hatte gedacht, es macht nichts, aber jetzt macht es eben doch was. Was folgt, ist ein Kammerspiel in Sachen Annäherung. Er hatte mehr Affären als sie, und darum will sie all die Frauen spielen, die er gehabt hat, und er soll all die Männer spielen, die sie ersehnt hat — „Comédie“.
Die Frauen in Jacques Doillons Filmen strengen sich mordsmäßig an, dem Auserwählten zu beweisen, daß die Liebe ein Abenteuer ist. Die Männer, schwer beweglich wie Sandsäcke, betrachten das Schauspiel fassungslos, etwas geschmeichelt ob all der Aufregung, doch in erster Linie ihrer Ruhe verpflichtet. Doillon liebt die Form des Kammerspiels. Zwei, drei Personen, das ergibt genug Verwicklungen, und jeder hat ausreichend Platz, sich und seine Sehnsüchte darzustellen. Der Raum freilich ist eng begrenzt. Aus seinen Interviews erfährt man, daß Doillon eine genaue Vorstellung davon hat, wer sich wie irgendwohinbewegt. Und vielleicht nur, um diesen Rahmen zu sprengen, erfinden seine Schauspieler Ausdrücke und Gesten für das Unbekannte in einer bekannten Geschichte. Doillons Methode könnte man ein zärtliches Sezieren nennen.
Jacques hat eine Geliebte, lebt jedoch zusammen mit Dominique und ihrer gemeinsamen Tochter Lola. Dominique, la femme qui pleure, hört man schon heulen, bevor der Film anfängt. Jacques kann sein Glück über die neue zweite Liebe nicht verbergen und gibt in aller Unbekümmertheit monströse Sätze von sich. Als seine Freundin Haydée schwanger wird und sie befürchtet, das könnte Dominique den Rest geben, antwortet Jacques fröhlich: „Dann machen wir Dominique eben auch schwanger.“ Kurz darauf zieht Haydée in Jacques' und Dominiques Haus, wo die Geschichte dann in aller Ruhe explodieren kann.
In Doillons Filmen findet man so seltene Dinge wie Schönheit und Wahrheit, und doch fehlt etwas. Das kammerspielhafte, das viele Doillon-Filme auszeichnet, ist gleichzeitig ihre Schwäche. Anders als etwa bei Bergmann, dem Regisseur, den Doillon wohl am meisten bewundert, fehlt das Korsett aus Konventionen und Erziehung. Doillons Figuren haben keine Geschichte. Ihre Umwelt scheint überhaupt keinen Einfluß auf sie auszuüben, sie könnten auch auf dem Mond leben. Definitiv ist nur, daß sie nicht arm sind. Die große Liebe als Wehwehchen einer Mittelklasse, die verzweifelt rumgreint, weil ihr das Glück nicht in den Schoß fällt. Dominique und Jaques wünschen sich eine Familie, Kinder, ein geregeltes Einkommen und ein Wochenendhaus. Nichts dagegen zu sagen, aber wen interessieren schon die Sehnsüchte der Bourgeoisie?
Diesem Dilemma entgeht Doillon auf das wundervollste, wenn seine Geschichten unter Jugendlichen spielen. „Der kleine Gangster“ ist schon häufig gepriesen worden. Deshalb sei hier besonders „La drolesse“ erwähnt. Der Film handelt von einem zurückgebliebenen 17jährigen mit Pickeln, Streberscheitel und einem spitzen Hintern, der eine Zwölfjährige entführt. Ein Drama? Sehen Sie selbst. Anja Seeliger
Ab heute, 20 Uhr, im fsk-Kino, Wiener Straße 20, Kreuzberg.
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