: Die neue Dimension des Terrors
■ Kurde schwebt nach Selbstverbrennung in Lebensgefahr / Kohl fordert Härte gegen „Gewalttäter“
Bonn/Berlin (AP/dpa/taz) – Ein 35jähriger kurdischer Demonstrant, der sich am Dienstag auf der Autobahn mit Benzin übergossen und angezündet hatte, schwebte gestern noch in Lebensgefahr. Ein weiterer Demonstrant, der sich ebenfalls selbst angezündet hatte, erlitt weniger schwere Verbrennungen. Beide versuchte Selbstverbrennungen waren die dramatische Zuspitzung bei Autobahnblockaden in verschiedenen Bundesländern, die Kurden aus Protest gegen den Krieg in der Türkei und die Unterstützung der türkischen Regierung durch die Bundesregierung durchführten. Eine Kurdin, die sich in Mannheim bereits am Montag angezündet hatte, starb gestern. Während das Kurdistan-Informationsbüro erklärte, die Frau habe einen Abschiedsbrief hinterlassen, in dem sie gegen die kurdenfeindliche deutsche Politik protestiert, behauptete die Polizei, für die Selbstverbrennung hätte es keinerlei politische Motive gegeben.
In Reaktion auf die Autobahnblockaden haben Bundeskanzler Helmut Kohl und andere führende deutsche Politiker mit harten Konsequenzen für die Beteiligten gedroht. Mit den Ausschreitungen der vergangenen Tage habe der „Terror eine neue Dimension erreicht“, sagte Kohl. „Das ist ein unerträglicher Mißbrauch des Gastrechts, den wir nicht hinnehmen werden.“ Das Ausländerrecht sei möglicherweise zu ändern. Er erwarte nach Ostern einen Bericht der Bundesregierung. Am späten Nachmittag trafen sich die Innenstaatssekretäre von Bund und Ländern, um das rechtliche Problem zu erörtern.
Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) und mehrere Landespolitiker sprachen sich für eine schnelle Abschiebung kurdischer Straftäter aus. Es gehe nicht an, „daß die innertürkischen Probleme gewaltsam auf deutschem Boden auch noch zu Lasten deutscher Staatsbürger ausgetragen werden“, sagte Bohl.
Die SPD zeigte sich unentschlossen: Ob sie eine schnelle Abschiebung der Kurden unterstützen werde, prüfe die SPD derzeit, sagte der Sozialdemokrat Hans-Gottfried Bernrath, Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses. Auf jeden Fall sei es schwer, „die einzelnen Täter zu ermitteln“ und sie abzuschieben. Unmöglich sei es, wenn ihnen in der Türkei die Todesstrafe drohe. Statt dessen forderte Bernrath ein Waffenembargo gegen die Türkei: „Nato hin, Nato her, wenn Waffen gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden, müssen die Waffenlieferungen eingestellt werden.“
Die Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl verlangte indes einen Abschiebestopp für Kurden. „Abgeschobenen Flüchtlingen droht Gefahr für Leib und Leben“, so Pro-Asyl-Sprecher Herbert Leuninger in Frankfurt am Main. In einer Erklärung unterstützte Pro Asyl den gewaltfreien Kampf gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes. Gewalttätige Demonstrationen könnten aber „die Spirale des Terrors in der Heimat nicht beenden und die Solidarität nicht fördern“.
Gegen Kurden, die sich an Blockaden beteiligt hatten, beantragten verschiedene Staatsanwaltschaften am Mittwoch Haftbefehle. In Kiel wird einem Kurden die versuchte Tötung eines Polizisten vorgeworfen. Nach Angaben der Stuttgarter Polizei wurden sechs Kurden dem Haftrichter vorgeführt, in Gießen waren noch zwölf Männer in Polizeigewahrsam. In Nordrhein-Westfalen wird gegen 250 Blockierer ermittelt, in Berlin gab es keine Haftbefehle. Seiten 3 und 10
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