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Ein packendes Baseballmatch

Schnarrende Mouthharps, puffende Lokomotiven, trappelnde Pferdehufe und die bange Frage, ob die Bluegrass-Welt endlich reif für doperauchende Hippies ist: Jerry Garcia und David Grisman haben Kinderlieder aufgenommen  ■ Von Matti Lieske

Jerry Garcia vertreibt sich seine Zeit nicht nur als Gitarrenzampano von Grateful Dead und Spielertrainer der Jerry Garcia Band. Er betätigt sich auch als Krawattendesigner, dessen Produkte unter anderen vom Vizepräsidenten Al Gore geschätzt werden, sowie als Maler und Zeichner. Entsprechend hat er die Atmosphäre von „Not For Kids Only“ mit seiner Coverzeichnung auf den Punkt gebracht: zwei gekritzelte Rauschebärte mit Gitarre und Mandoline – Jerry Garcia und David Grisman –, deren Füße emsig „Tap, tap“ machen; davor eine Horde etwas ratlos dreinblickender Kinder, die ihr Spielzeug beiseite gelegt haben und den musikalischen Offenbarungen der ergrauten Saitenvirtuosen lauschen. Je älter Musiker werden, desto intensiver scheinen sie sich an die Lieder ihrer Kindheit zu erinnern. Bob Dylan machte auf „Good As I Been To You“ den Anfang mit dem tragikumwehten „Froggie Went A-Courtin', Garcia und Grisman haben gleich eine ganze CD mit zwölf akustisch dargebotenen Kinderliedern gefüllt.

Immer wenn Jerry Garcia die Nase voll hat von den elektrifizierten Exkursionen der Grateful Dead, die als erfolgreichste Tourneeband der Welt seit vielen Jahren schon nicht mehr akustische Musik spielen können (weil die riesigen Arenen, in denen sie wegen des Andrangs auftreten müssen, dafür nicht geeignet sind), geht er zu David Grisman und widmet sich dem Folk, dem Bluegrass und der ureigenen „Dawg“-Musik, die Grisman in mehr als 30 Jahren emsigen Mandolinenspiels entwickelt hat. „Wenn die Lichter ausgehen“, so Grismans Credo, „wird es nur noch akustische Musik geben.“

Ostküstentyp trifft Westküstentyp

Zum erstenmal getroffen haben sich die beiden 1963 in New York. Jerry Garcia erinnert sich: „Ich hatte mein Banjo, er hatte seine Mandoline. Wir schrammelten ein bißchen rum, und er testete mich ein wenig. Ich nehme an, er wollte sehen, ob diese Typen von der Westküste spielen können.“ Der Typ von der Ost- und der Typ von der Westküste trafen sich wieder, als Grisman nach San Francisco kam, die Bluegrass-Musik für eine Zeitlang aufgab, „weil die Bluegrass-Welt für einen doperauchenden Hippie noch nicht reif war“, und sich als Produzent versuchte. Als er 1970 einem packenden Baseballmatch zwischen Grateful Dead und Jefferson Airplane als Zuschauer beiwohnte, forderte ihn Garcia hinterher auf, doch einfach mit ins Studio zu kommen und ein bißchen bei den Aufnahmen für „American Beauty“ mitzuwirken. Eine spontane Idee, die in den feingewirkten Mandolinentönen auf „Ripple“ und „Friend Of The Devil“ gipfelte.

Danach gründete Grisman mehrere Bluegrass-Bands, deren berühmteste „Old And In The Way“ hieß, unter anderem mit Peter Rowan und Garcia. Ihr fulminant-gutgelaunte Album mit Stücken wie „Panama Red“, „Midnight Moonlight“ oder „Land Of The Navajo“ wurde eine der bestverkauften Bluegrass-Platten schlechthin.

Danach gingen die beiden Musiker lange Zeit getrennte Wege, und Grisman, inzwischen von Garcia mit dem Spitznamen „Dawg“ versehen, entwickelte seinen Musikstil, der eine Mischung verschiedener Folk-, Bluegrass- und Jazz- Elemente darstellt und auf Alben wie „Dawg '90“ oder „Dawgwood“ dokumentiert ist, die auf Grismans eigenem Label „Acoustic Disc“ erschienen. Grisman gründete das Label 1989, weil er die Nase voll hatte von den Nörgeleien und Änderungswünschen der Musikkonzerne: „Ich wollte die Kontrolle über meine Musik“. Eine Musik, die in keine Schublade paßt. „Es ist seltsam“, sagt Grisman, „aber Bluegrassfans halten meine Musik für Jazz, und Jazzfans halten mich für einen Bluegrass-Spieler.“

Fünfzehn Jahre nach ihrer letzten Zusammenarbeit traf Grisman dann bei einer Party wieder einmal auf Jerry Garcia, und der schlug vor, doch noch ein paar alte „Old And In The Way“-Tapes rauszubringen. „Alte Tapes können wir rausbringen, wenn wir im Rollstuhl sitzen“, entgegnete Grisman, „laß uns lieber was Neues machen.“ Gesagt, getan, nicht lange danach trafen sich die beiden im Studio, spielten munter drauflos und nahmen alles auf. Von den zwanzig Liedern kamen neun auf die mit einer Grammy-Nominierung bedachte CD „Jerry Garcia/David Grisman“, darunter das gute alte „Friend Of The Devil“, der Instrumental „Grateful Dawg“, der Klassiker „The Thrill Is Gone“ und das ausgedehnte „Arabia“, in das umstandslos das kubanische Revolutionslied vom Comandante Che Guevara verwoben wurde.

Geht diese Straße direkt nach Little Rock?

Es folgte ein genuines Bluegrass-Album „Bluegrass Reunion“, bei dem zum letztenmal der im vergangenen Jahr verstorbene Altmeister des Genres, Harley „Red“ Allen, weithin als die beste Stimme des Bluegrass angesehen, selbige ertönen ließ, und nun eben „Not For Kids Only“, eine Liedersammlung „für jeden, der ein Kind ist oder mal eines war“.

„Dies ist eine Reaktion auf den revisionistischen Umgang mit Kinderliedern“, postuliert Garcia. „Wir wollen sie den Kindern so nahebringen, wie sie sind, und sie genauso lassen.“ Mit gewohnter instrumenteller Meisterschaft werden solch verschiedene Songs dargebracht wie das elegische „Freight Train“; das alberne „Three Men Went A-Huntin'“ mit dem realistischen Iren, dem wortkargen Schotten und dem tumben Waliser; das Schlaflied „Shenandoah“ oder die Mär vom berühmten „Arkansas Traveler“, der sich verlaufen hat und vom spitzfindigen Einheimischen recht skurrile Antworten erhält. „Hallo, Fremder, geht diese Straße direkt nach Little Rock? – „Ich stehe hier schon den ganzen Tag, aber sie ist noch nirgends hingegangen.“ – „Du bist wohl nicht sehr schlau?“ – „Nein, aber ich habe mich nicht verlaufen.“ – „Hast du dein ganzes Leben hier verbracht?“ – „Noch nicht!“

Da schnarrt die Mouthharp, pufft die Lokomotive und trappeln, bei „A Horse Named Bill“, die Pferdehufe. Mandoline und Gitarre liefern sich furiose Wechselspiele, und es scheint, als hätten Jerry Garcia und David Grisman ihr ganzes Leben mit solcher Musik verbracht. Wir hoffen: Noch nicht!

David Grisman/Jerry Garcia: „Not For Kids Only“, Acoustic Disc, ACD-9

„Jerry Garcia/David Grisman“, Acoustic Disc, ACD-2

„Bluegrass Reunion“, Acoustic Disc, ACD-4

David Grisman Quintet: „Dawg '90“, Acoustic Disc, ACD-1

David Grisman Quintet: „Dawgwood“, Acoustic Disc, ACD-7

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