: Brüssel legt Borstenvieh an die Leine
■ Kommissions-Verbot wegen Schweinepest / Hannovers Widerstand
Hannover (taz) – Die Entscheidung über Niedersachsens Schweine fiel in Brüssel am Mittwoch nachmittag, und von Hannover aus hatte Landwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke die Kommission der Europäischen Union schon vorab mit derben Worten bedacht. Als „Handelskrieg“ und „absichtliche Blockade“ hatte er die nunmehr über das gesamte Niedersachsen verhängte Schweine-Sperre bezeichnet, die den Transport von lebenden Schweinen über die Landesgrenzen hinweg gänzlich untersagt. Mit der Gefahr der erneuten Ausbreitung der Schweinepest begründete dagegen die Brüsseler Kommission die Handessperre und damit, daß man in Niedersachsen die Regeln der Seuchenbekämfung nicht streng genug befolgt, die Bauern nicht genug kontrolliert habe. In Niedersachsen werden seit fünf Monaten immer neue Fälle der hochinfektiösen Schweinekrankheit gemeldet. Mit einem Transport von Ferkeln aus Baden-Würtemberg war die Viruskrankheit im Oktober in die Lankreise Cloppenburg und Vechta eingeschleppt worden – das Gebiet mit der weltweit höchsten Schweinedichte.
In ganz Niedersachsen werden jährlich über elf Millionen Schweine produziert. Seit Ausbruch der Krankheit hat man 750.000 Schweine „gekeult“, mit der Elektrozange per Stromschlag getötet, um sie danach zu Tiermehl zu verarbeiten. Die Mehrzahl davon waren gesunde Tiere. 200 Millionen Mark hat das Aufkaufen gesperrter Schweine und das Ausmerzen erkrankter Bestände bisher die öffentlichen Hände gekostet, etwa 140 Millionen davon hat allein die EU getragen.
Zwischenzeitlich – im Februar – schien die Seuche bereits im Abklingen begriffen. Vor wenigen Tagen allerdings mußte der Sprecher des niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums wiederum erklären: „Alles im allem haben wir seit Oktober durchgängig immer etwa ein Dutzend Schweinebestände, die infiziert sind oder unter Seuchenverdacht stehen“.
Für diesen Mißerfolg bei der Seuchenbekämpfung machen auch kritische Tiermediziner keineswegs allein die konzentrierte Massentierhaltung im Westen Niedersachsens verantwortlich. In der Bundesrepublik werde die Ausbreitung der Seuche vor allem durch die Art der Schweineaufzucht begünstigt, so Norbert Roers für die Arbeitsgemeinschaft kritische Tiermedizin. Drei verschiedene Agrarbetriebe durchläuft hierzulande ein Borstenvieh in der Regel, bevor es am Ende dann den Schlachthof erreicht. Lebendviehtransporte über Hunderte von Kilometern sind die Regel. Die Ferkelproduktion, die sogenannte Baby-Ferkel-Aufzucht und die Schweinemast finden in spezialisierten Betrieben statt. „Für eine Bekämpfung der Seuche müßte man alle Transporte aus den befallenen Gebieten gänzlich unterbinden“, sagt Roers. Dies sei aber schwer durchsetzbar.
Die kritischen Tiermediziner sehen es im Gegensatz zur Landesregierung als Fortschritt an, daß man in Brüssel die Seuche nicht mit massenhaften Impfungen bekämpfen will. Selbst durch Gefrierfleisch, Wurst oder Schinken sei der Erreger der Schweinepest übertragbar, sagt Roers. Eine Impfung wäre deswegen nur dann erfolgversprechend, wenn sie zeitgleich in allen Ländern stattfinde, in die Schweineprodukte exportiert würden. Im Extremfall laufe dies auf eine Impfung etwa auch in den USA und Kanada hinaus.
Es war nicht allein Niedersachsen, das die Seuche mit Impfungen bekämpfen wollte. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte im niedersächischen Wahlkampf den betroffenen Schweinezüchtern noch versprochen, daß er einen Antrag auf Impfung in Brüssel durchbringen werde. Weil Bonn von den Zusagen aus dem Wahlkampf jetzt nichts mehr wissen will, ist Niedersachsens Landwirtschaftsminister nun bockbeinig. Die von der EG verhängte totale Handelsperre will er zunächst nicht umsetzen. Bevor die Verordnung nicht im Bundesanzeiger veröffentlicht sei, ändere sich an der Seuchenbekämpfung nichts. Jürgen Voges
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