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Missionare statt Delphine

Erlebnisse auf dem Forschungsschiff „Kairos“  ■ Von Klaus Büchi

Tja, dachte sich Willibald Wurzel und suchte sich für seinen Resturlaub etwas ganz Ausgeflipptes. Ab zum Kiosk, die taz vom Samstag, Reiseseiten: Atem und Rhythmus in der Toskana; Leben nach dem Tod auf Helgoland; und Körper-Wasser-Wind-Delphinforschung, 14 Tage auf dem Segelforschungsschiff „Kairos“, rund um die Kanarischen Inseln, 800 Mark pro Woche, Vollpension.

„Ja, das ist es doch. Ein Forschungsschiff, so mit richtigen Biologen und Zoologen auf hoher See, wie bei Greenpeace“, denkt Willibald.

Und schon sitzt er im Flugzeug nach Teneriffa. Nach vier Stunden Flug und einer kleinen Taxifahrt sieht er sie endlich: die „Kairos“ im Hafen von Los Cristianos, 26 Meter lang, zwei Masten, helles Holz, schwankt sie leicht im Wind. Und Tommi mit dem „Kairos“-T-Shirt, der freundliche Mechanist und Finanzberater, bringt Willibald tatsächlich, so wie in seinen Träumen, mit einem Schlauchboot mit Motor hinüber zum Forschungsschiff Human/Dolphin-Research „Kairos“.

Auf Deck sprudelt Willibald los: „Mensch, Leute, finde ich echt spitze hier! Wo sind denn die Delphine, wann geht's los?“ Der Kapitän, genannt Johnny, schaut Willibald müde lächelnd an: „Na Junge, setz dich doch erst mal, trink ein Bier.“ Mittlerweile sind 22 Leute an Bord.

Am nächsten Tag geht's dann los. Hinaus auf den Atlantik. Der Musiker und Psychologe Jack hängt die Mikros und Lautsprecher über Bord in die Wellen. Jack summt, gähnt, schreit und raunt meditative Gesänge über die Lautsprecher ins Meer. Er spielt Keyboard aus dem eingerichteten Tonstudio und stellt alle Unterwassermikros auf Aufnahme: Werden die Delphine antworten? Anneliese, die Gruppenleiterin, ruft zur Gruppensitzung auf dem Vorderdeck. Alle zweiundzwanzig Leute setzen sich in einen Kreis. Anneliese leitet das Gespräch: „Besinnt euch, schließt die Augen, faßt euch an, sendet positive Vibrationen in die Tiefen des Atlantiks.“ Eine lange Pause legt sich über die Forscher. „Es ist sehr wichtig, daß wir eine positive Haltung einnehmen. Denn das merken die Delphine, und nur dann kommen sie.“

Willibald sitzt neben Jesika, der guten Seele aus der Küche. Jesika streichelt Willibald zärtlich am Hals. Leise flüstert sie ihm ins Ohr: „Willibald, du hast so schöne braune Augen, wenn du willst, mach' ich es auch ohne Präser.“

Und tatsächlich, plötzlich schreit Johnny: „Wale an Backbord!“ Jerry, der Sportlehrer der Crew, stürzt sich sofort ins offene Meer, schwimmt den Walen entgegen. Er ist ganz heiß drauf, endlich mit Walen zu schwimmen. Auch Anneliese springt in die tosenden Wellen des Atlantiks. Sie will unbedingt den intensiven und vor allem hautengen Kontakt mit den intelligenten Wesen aus der Unterwasserwelt. Doch die Wale schwimmen weiter. In der Nähe tuckert das „Whale-Watching“- Boot vorbei. An Bord johlen Touristen zu spanischer Musik. Sie versorgen die Wale mit Leckereien. Auch bei den Walen kommt wohl das Fressen vor der Kultur, denkt Willibald. Die „Kairos“ setzt ihre Fahrt nach Gomera fort.

Die Crew-Mitglieder und viele der Kursgäste gehören zu den „Nach-68ern“, Althippies, Träumer. In all den Jahren haben sie die 68er-Ideen angereichert mit den verschiedenen Blüten des sogenannten New Age, dem positiven Denken und dem Leben in Kollektiven. Von den 22 Leuten an Bord der „Kairos“ sind fast 15 Mitglieder und Sympathisanten des ZEGG, des „Zentrums für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung“, Hauptsitz Belzig bei Berlin. Hauptinitiator ist Dieter Duhm („Bauhütte“, „Meiga“, „Angst im Kapitalismus“ ...).

Zu den 68er-Ideen gehört auch die AAO, die „Aktionsanalytische Organisation“ des Otto Mühl, des Aktionisten aus Wien mit seiner damals berüchtigten Sex-Kommune im Burgenland. Dieter Duhm reiste 1976 zum Friedrichshof, dem Zentrum der AAO. Dort arbeitete er begeistert mit, zog die Ideen und vor allem die Lebenspraxis mit freier Sexualität, Selbstdarstellung und hierarchisierter Kommunikation begierig in sich auf. Doch er lebte nicht lange in diesem Experiment. Er wollte seine eigene Kommune. Die hat er wohl jetzt in Belzig oder auf Lanzarote und der „Kairos“. Für Dieter Duhm war Otto Mühl ein wichtiger Ideengeber.

Und wie es der Zufall so will, schwankt die „Kairos“ vor den Küsten von Gomera. Treibt vorbei an der kleinen Bucht El Caprito in der Nähe von San Sebastián. Dort baute bis vor kurzem Otto Mühl seine Utopie, seine alternative Gesellschaft. Heute dämmert die Bucht so vor sich hin, geführt von Ehemaligen aus der AAO. Sie nutzten die Chance, das Chaos während der Auflösung des Lebensexperiments, und gründeten eine Genossenschaft. Otto Mühl und die Führungscrew werden nicht mehr von ihnen eingeladen. Mühl sitzt im Gefängnis wegen sexuellen Mißbrauchs von Jugendlichen. Na ja, alte Geschichten. Doch spannend, weil in diesen Tagen die „Kairos“ vor dieser Bucht ankert. Und wieder missionieren Eingeweihte die dummen Spießer, die Frustrierten und versuchen sie an ihre Gruppe zu binden. Ahnungslose Kursgäste, die Delphine und Sport suchten, werden sexuell angemacht und eingelullt in das New-Age-Gebimmel.

Willibald Wurzel sitzt beim Essen. Einer der oberen Gruppenleiter der Crew versuchte immer, das Gespräch zentral zu leiten, bemühte sich, interessante Themen in die Runde zu bringen. Gespräche mit den Tischnachbarn sind unerwünscht. Gegen diesen Kommunikationszentralismus, gegen dieses Missionieren hilft nur beherztes Rülpsen oder Comiclesen. Willibald verzieht sich heimlich in eine gemütliche Kneipe.

Körper-Wasser-Wind auf einem Delphinforschungsschiff, wie versprochen, trifft jedenfalls nur am Rande zu. Ehrlich sollten sie sein, die ZEGGies. Sie sollten sagen, daß sie eine andere Lebensform mit freier Sexualität, hierarchisierter Kommunikation anbieten.

Spannend war's für Willibald allemal. Für ihn war es auch eine Reise in seine persönliche alternative Vergangenheit. Im Flugzeug schaut er sich seinen kleinen Holzdelphin an. Den hat er in Gomera gekauft, denn mittlerweile sind Delphine in.

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