„Die Hauptbedrohung sind wir“

In Paris bereiten die Volksmudschaheddin, ein Ex-Staatspräsident von Ajatollah Chomeini und ein Ex-Minister des Schahs ihre Rückkehr in den Iran vor / Drei Szenen aus einem streng bewachten Exil  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Die holprige, schmale Straße ist zu beiden Seiten offen. Blühende Forsythien sprenkeln die Vorgärten sattgelb. Ein Pudel bellt den vorbeifahrenden Wagen an, eine Frau blickt von der Arbeit im Blumenbeet auf. Es duftet nach Frühling. Hinter der Kurve wird die Dorfstraße zur militärisch befestigten Anlage. Graue Metallwände ragen rechts und links meterhoch in die Luft. Ein quergestelltes Gitter versperrt die Weiterfahrt. Davor steht ein junger Gendarme.

Der französische Polizist wacht über die „künftige Präsidentin des Iran“. Maryam Radjavi, die im Schatten der grauen Mauern in Auvers-sur-Oise lebt, steht auf den Todeslisten des Teheraner Regimes. Im letzten Sommer haben die oppositionellen Volksmudschaheddin und mit ihnen kooperierende ExiliranerInnen Frau Radjavi einstimmig zur „künftigen Präsidentin“ gewählt. Danach reiste sie aus dem Irak, wo die Volksmudschaheddin ihr militärisches Hauptquartier haben, nach Frankreich. Das politische Asyl, das Paris der 41jährigen gewährt, versteht Teheran als Provokation.

Maryam Radjavis Foto ziert die Büros der Volksmudschaheddin. Ein immer gleiches, aufmunterndes Lachen aus einem glatten, ungeschminkten Gesicht, das von einem mattroten Kopftuch umrahmt ist. Die „künftige Präsidentin“ wird sorgfältig von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Ihre NachbarInnen in Auvers-sur-Oise kennt sie nicht, deren Sprache versteht sie nicht. Sie konzentriert sich ganz auf die Rückkehr nach Teheran.

Die Volksmudschaheddin glauben, daß der „Sturz der Mullahs“ nicht mehr fern ist und daß sie dabei die zentrale Rolle spielen werden. „Die Hauptbedrohung sind wir“, sagt Mohammad Mohaddessin, Leiter des „auswärtigen Ausschusses“ der Volksmudschaheddin. Da die Organisation im Iran im Untergrund operiert, ist die Einschätzung kaum überprüfbar.

Als wäre er bereits Außenminister des Iran, jettet der 39jährige Mohaddessin unaufhörlich durch die Welt. Seinen Wohnsitz hat er in Frankreich; doch was er als sein wirkliches Leben begreift, spielt in seiner Heimat, wo er seit über zehn Jahren nicht mehr war. Für das Ende des Regimes hat er schon ein militärisches Ablaufmodell im Kopf: Die „Nationale Befreiungsarmee“ – der bewaffnete Arm der Volksmudschaheddin – marschiert vom Irak aus in den Iran ein, das Volk erhebt sich, und die Soldaten der regulären Armee laufen über. Bleiben nur noch die regimetreuen „Revolutionswächter“ (Pasdaran) militärisch zu besiegen.

Auvers-sur-Oise liegt eine Autostunde nördlich von Paris. Vincent van Gogh hat die „extreme Stille und Einsamkeit“ dieses Ortes geschätzt. Hier malte er seine letzten Bilder – das weiße Rathaus, die Kirche hinter der Weggabelung, die wogenden Kornfelder –, und hier gab er sich die tödliche Kugel.

Die Volksmudschaheddin kamen 1981 in das Künstlerdorf. Ihr Chef Massud Radjavi war gerade vor seinem früheren Verbündeten Ajatollah Ruhollah Chomeini aus Teheran geflohen. In derselben Maschine flog auch Chomeinis erster Staatspräsident, Abolhassan Bani-Sadr, nach Paris. In Auvers- sur-Oise wurden die beiden Iraner Nachbarn. Bani-Sadrs Tochter Firouzeh ehelichte den obersten Volksmudschaheddin.

Das Idyll im Exil hielt nicht lange. Nach zwei Jahren kam es zum politischen Bruch zwischen den Volksmudschaheddin und Bani-Sadr. Der Ex-Staatspräsident verließ das Dorf. Auch die Ehe zwischen Massoud und Firouzeh ging zu Ende – „wegen politischer Differenzen“, sagen die einen, „wegen seiner Maitressen“, sagen die anderen. Bald darauf heiratete Massoud Radjavi die prominenteste Frau seiner Organisation: Maryam. Für die Hochzeitsfeier wählten sie den 20. Juni 1985, den „Tag des iranischen Widerstandes“.

Mit Bani-Sadr sprechen die Volksmudschaheddin heute nicht mehr. „Wir haben alles für ihn getan, wir haben ihn sogar als provisorischen Staatspräsidenten anerkannt“, sagt Mohaddessin bitter. „Aber er schrieb Briefe an Chomeini. Mit so jemandem können wir nicht zusammenarbeiten.“

Ein paar Kilometer weiter südlich, im Westen von Paris, steht ein großes Haus aus verwittertem Backstein. Es hat etwas Märchenhaftes – nur die vierspurige Schnellstraße stört. Eine geschwungene Treppe führt zum Eingang, an den beiden Türmen – einer rund, einer eckig – rankt Efeu empor. Im Garten wuchern Gras und dichte Büsche. Dazwischen fällt der verbeulte Bus kaum auf, in dem rund um die Uhr zwei schwerbewaffnete Gendarmen sitzen. Bani-Sadr und seine Frau bewohnen hier drei Zimmer. Die übrigen Räume des Hauses stehen leer. „Die Heizkosten sind zu hoch“, sagt der ehemalige Staatspräsident aus Teheran.

Der blasse, magere Mann hat sich an den Rand seines breiten Sessels gedrängt. Die beiden kräftigen Iraner auf dem Sofa gegenüber lassen ihn keinen Moment aus den Augen. Bani-Sadrs Name ist in keiner Fatwa genannt, und doch wartet das Regime in Teheran auf eine Gelegenheit, ihn zu ermorden. Er schilt die „große Scheinheiligkeit“ der westlichen Welt, die nur Rushdie wahrnehmen will – der „ein beleidigendes Buch geschrieben hat“ –, nicht aber die vielen anderen Wissenschaftler und Schriftsteller, die auch Todeskandidaten sind.

Das rote Haus in Frankreich ist Bani-Sadrs Gefängnis. Zuletzt hat er es vor zwei Monaten verlassen, als er einen Freund zum Abendessen besuchte. Bani-Sadr verbringt seine Zeit hinter den Backsteinmauern und arbeitet. Er schreibt Bücher – über den Koran, über Menschenrechte, über Frauen –, er empfängt BesucherInnen und diskutiert. Sein Thema ist immer der Iran. Obwohl er viele Anzeichen für eine wachsende Schwäche des Regimes sieht, glaubt er nicht an dessen Ende. „Die Unterstützung des Westens, besonders aus Deutschland, ist viel zu stark.“

Bani-Sadr spricht mit allen iranischen Oppositionellen, die er für demokratisch hält. Um ihre Stärke zu zeigen, zählt er ein halbes Dutzend Organisationen auf. Die meisten standen am Anfang der Revolution auf Chomeinis Seite und sind heute im Iran verboten. Nur zu Volksmudschaheddin und Monarchisten meidet Bani-Sadr jeden Kontakt. „Mit Gruppen mit diktatorischer Tendenz, die mit ausländischen Kräften – der irakischen Führung oder der CIA – zusammenarbeiten, will ich nichts zu tun haben“, sagt er kategorisch.

Ein paar Kilometer weiter südlich. Ein Büro in einer belebten Geschäftsstraße am Pariser Stadtrand. Die Eingangstür ist gepanzert und zusätzlich von einem Kameraauge bewacht. Hier residiert Manoucher Ganji, einst iranischer Erziehungsminister unter dem Schah. Die Bezeichnung „Monarchist“ gefällt ihm nicht. Eine künftige Monarchie in seinem Land hält er zwar nicht für ausgeschlossen – schließlich könnten sich die IranerInnen daran erinnern, daß es ihnen in der Vergangenheit besser ging als heute –, doch wäre das dann „ganz anders als früher“.

Den Orden, den der Schah seinem Minister verlieh – ein pfenniggroßer schillernder Sticker –, trägt der Jurist immer noch am Revers seines eleganten Anzugs. Heute ist er Vorsitzender der „Organisation für Menschenrechte und Grundfreiheiten im Iran“ und arbeitet „mit allen Oppositionellen, die einen demokratischen Iran wollen“, zusammen – auch mit dem zwischen Kalifornien und Europa pendelnden Sohn des Schahs. Nur mit den Volksmudschaheddin würde er nicht sprechen – wegen deren Plan, mit der Unterstützung des feindlichen Irak im Iran einzumarschieren. „In so einem Fall“, sagt er, „wäre ich auf der Seite der iranischen Kräfte.“ Über die Stärke seiner Organisation im Iran selbst, den er mit Radioprogrammen und Flugblättern versorgt, will Ganji nicht spekulieren.

Zwei französische Polizisten sitzen in der Küche. Sie lassen Ganji nie allein – nicht auf dem Weg zur Arbeit und nicht in seiner Wohnung. Die Läden an den Fenstern des Konferenzraums bleiben stets geschlossen. An den Wänden hängen Fotos von im Exil ermordeten Mitgliedern der Organisation. „Der Westen muß dem Regime die Unterstützung entziehen. Mehr verlangen wir nicht“, sagt Ganji. Dann warnt er: „Wir haben ein Gedächtnis. Wir werden uns erinnern, wer unsere Freunde sind.“

Mindestens 59 Morde in Europa werden dem Regime in Teheran zur Last gelegt. In Frankreich allein fielen neun Menschen dem Terror zum Opfer. Die letzten Toten waren am 6. August 1991 der Ex-Ministerpräsident des Schahs, Shapour Bakhtiar, und sein Sekretär Soroush Katibeh. Ihre Mörder kamen als Besucher. Bei der Übergabe der Visitenkarten stachen sie zu. Die französische Polizei, die vor dem Haus in Suresnes bei Paris wachte, entdeckte die Leichen zwei Tage später. Die Untersuchungsakte, die der französische Untersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière im Januar vorlegte, nennt iranische Geschäftsleute und Botschaftsmitarbeiter in Paris sowie höchste Würdenträger in Teheran als Ausführende und Drahtzieher des Verbrechens. Sechs Verdächtige sitzen in französischen Gefängnissen, die übrigen sind entkommen. Wenn alles plangemäß verläuft, beginnt das Verfahren wegen des Bakhtiar-Mordes noch in diesem Jahr.

Als Zentrum des iranischen Exils hat Frankreich Tradition. Ende der 70er Jahre bot es Chomeini den nötigen Schutz, um sich auf die Schah-Nachfolge vorzubereiten. Kaum war der Religiöse in Teheran gelandet, kamen schon seine ersten GegnerInnen nach Paris. Heute stehen mehr als 10 prominente iranische Oppositionelle unter französischem Polizeischutz.

Doch die französische Regierung will auch mit der anderen Seite nicht brechen: Bisher durften noch alle iranischen Agenten Frankreich verlassen. 1990 begnadigte Staatspräsident François Mitterrand sogar den rechtskräftig verurteilten Mörder Anis Naccache. Erst vor wenigen Monaten ließ Paris zwei Iraner ziehen, die in der Schweiz wegen des Mordes an Kassem Radjavi, Führungsmitglied der Volksmudschaheddin, vor Gericht gestellt werden sollten. Als einzige Begründung für diese Nachgiebigkeit gegenüber den beiden Mordverdächtigen führte Regierungschef Edouard Balladur die „nationale Sicherheit“ an.

Die potentiellen Opfer wissen, daß keine Mauer hoch genug und keine Panzertür dick genug sein kann, um sie zu schützen. Solange ihre Mörder frei durch die Welt reisen, schweben sie in Gefahr. Für Mohaddessin, den „Außenminister“ der Volksmudschaheddin, der den größten Teil seines Lebens in Gefängnissen und im Exil verbracht hat, ist das „ein selbstgewählter Weg“. Die Sicherheitsbeamten in seinem Leben erwähnt er nicht einmal. Für den Intellektuellen und Ex-Staatspräsidenten Bani-Sadr ist „der Terror ein Faktor meines Lebens“. Aber im Inneren fühlt er sich trotzdem „völlig frei“. Der Ex-Minister des Schahs, Ganji, sagt: „Ich weiß, daß ich sterben werde. Ich würde es vorziehen, als Held zu sterben.“