piwik no script img

■ Nebensachen aus GazaDottergelb ist die Farbe der Besatzer

In manchen Ländern ist es die Hautfarbe, die bestimmt, wer das Sagen hat. Im Gaza-Streifen ist es die Farbe des Nummernschildes. Dottergelb ist die Couleur der Besatzer, der Siedler oder anderer ziviler Israelis, die sich hierher verirren. Blütenweiß sind dagegen die amtlichen Kennzeichen der palästinensischen Fuhrwerke, deren Insassen unter der Besatzung leben.

Wer das Privileg eines gelben Schildes besitzt, prescht meist in atemberaubendem Tempo auf speziell für die Siedler angelegten Straßen entlang. Damit kein Fahrzeug mit einem weißen Nummernschild es wagt, von den alten „arabischen“ Straßen in diese neuen „israelischen“ Siedlerstraßen einzubiegen, wachen israelische Militär-Checkpoints an den Kreuzungen.

Friedlich fahren wir etwa eine der Hauptstraßen von Gaza- Stadt entlang (arabische Straße), als plötzlich eine israelische Militär-Patrouille aus einer Seitenstraße auftaucht. Alles weitere spielt sich in Sekunden ab. Einer der Soldaten springt aus dem Jeep, legt sein Gewehr an und zielt auf unser Auto. Der palästinensische Fahrer macht eine Vollbremsung. In schußsicheren Westen und mit den Waffen im Anschlag umringen die Uniformierten das Auto. Wir seien zu schnell gefahren, sagen sie. Um ihre Autorität unter Beweis zu stellen, konfiszieren sie den Autoschlüssel. Dann ziehen sie fröhlich lachend über den gelungenen Scherz ihres Weges und lassen uns verdutzt am Straßenrand zurück.

Einige Stunden später: In einem palästinensischen Servicetaxi werden wir erneut von einer israelischen Patrouille angehalten. Diesmal hat man uns ohne ersichtlichen Grund ausgewählt, um eine Straße von Barrikaden und den Überresten brennender Autoreifen zu säubern. „Das passiert häufig“, sagen die anderen Fahrgäste lakonisch.

Der palästinensische Widerstand gegen die Verkehrsüberwachung der Besatzer nimmt zuweilen absurde Formen an. „Warum schnallst du dich an?“ fragt ein Taxifahrer verwundert. „Der nächste Checkpoint liegt doch noch ein paar Kilometer entfernt!“ Die Besatzer im Kleinen zu überlisten ist eine der Überlebensstrategien für die palästinensische Psyche. So wird das Anschnallen außer Sichtweite der Armee zur freiwilligen Unterwerfung unter die Besatzung.

In den Flüchtlingslagern nehmen die Palästinenser die Verkehrsüberwachung manchmal selbst in die Hand. Doch der Umgang miteinander ist durch 27 Jahre brutale Militärherrschaft geprägt. In Gaza kursiert zum Beispiel die Geschichte von einem Mann, der sein Auto mitten auf der Straße parkte und so den Verkehr blockierte. Eine Gruppe Jugendlicher, die den „Falken“, dem militanten Flügel von Arafats PLO-Organisation Fatah angehörte, forderte den Mann auf, weiterzufahren. „Wer seid ihr denn, daß ihr mir sagen wollt, was ich zu tun habe“, soll der Mann geantwortet haben. Einer der Jugendlichen zog daraufhin eine Waffe und schoß den Verkehrssünder nieder.

Ganz anders der geistig verwirrte alte Mann, der im Flüchtlingslager Khan Yunis gelegentlich den Verkehr regelt. Er verteilt hastig auf Zettel gekritzelte Strafzettel. Alle Verkehrsteilnehmer mögen ihn und nehmen die „Knöllchen“ höflich an. Leuten wie ihm sollte man vielleicht in Zukunft die Verkehrsregelung im autonomen Gaza-Streifen überlassen.

Karim El-Gawhary

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen