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Slalom durch die Wracks

■ Riffe aus Eisen und Stahl in der Nordsee Von Henning Escher

Der Meeresgrund vor den deutschen Küsten gleicht einem Trümmerfeld: Mehr als 4 000 Wracks – versunkene Überreste von Fähren, Tankern, Frachtern und Kuttern besiedeln als stählerne Riffs die Unterwasser-Landschaft. Sie haben vor allem die Schiffahrtstraßen in der Deutschen Bucht, die zu den meistbefahrenen der Welt gehören, teils in tückische Slalompassagen verwandelt. Auch Flugzeuge, Bohrinseln und unzählige namenlose Zeugnisse der Seefahrt machen das Leben auf See wieder zum Abenteuer.

Dem Schicksal des panamesischen Containerschiffs „Seki Rolette“, das im April 1992 von einem libanesischen Frachter vor der Wesermündung gerammt wurde und fünf Seeleute mit ins Grab zog, können leicht andere tragische Fälle folgen: Zweimal entdeckten Schlepperfahrer bei Nacht und Nebel erst in letzter Sekunde das in Kieltiefe lagernde Wrack. Bei schlechter Sicht hatten sie sich auf ihr „Gefühl“ verlassen.

Auch die Yacht eines Hobbytauchers geriet im Sturm beinahe in die „Schiffsfalle“. Erst wenige hundert Meter vor der drohenden Kollision mit dem 150 Meter langen Koloß konnte die Wasserschutzpolizei das Boot ins Schlepptau nehmen. Drei Monate nach dem Unglück wurde die „Seki Rolette“ gehoben.

In den Mündungen von Elbe, Weser und Ems bilden nach Havarien und Kollisionen gesunkene Riesen stellenweise ganze Schiffsfriedhöfe. 1 780 Wracks hat das Deutsche Hydrographische Institut in Hamburg auf den Seekarten von Nord- und Ostsee nach sechs Gefahrenklassen verzeichnet. Exakt nach Lage und Größe vermessen, erscheinen sie dort als regungslose, farbige Kreise.

Doch in den Fluten können sie gefährliche Eigendynamik entwickeln: „Totgeglaubte“ Wracks, die auf der Seite liegen, werden manchmal unterspült, richten sich dann wieder auf und bilden erneut eine Gefahr.

Die Daten, die das „Sidescan-Sonar“ und das „Fächerlot“ der Wracksuchschiffe „Wega“ und „Atair“ vom Hydrographischen Institut holen, reichen manchmal nicht aus. Dann müssen Taucher 'ran, um die Gefahren zu erkunden. Leuchttonnen, die sie an den Wracks befestigen, sollen die Schiffer warnen. Hin und wieder reißen die Stahltrossen im Sturm und die Bojen treiben ab. Die ständige Überwachung der Wracks und ihrer „Positionslichter“ ist für die Schiffsbesatzungen zur Überlebensfrage geworden.

Jährlich orten „Wega“ und „Atair“ 30 bis 50 neue nautische Schicksale. Die meisten der geschätzten 5 000 Wracks modern unbeachtet der Ewigkeit entgegen. Über die genaue Zahl an Kuttern, Buhnen, Schuten und Booten, die in Sand und Schlick begraben liegen, läßt sich nur spekulieren. Stellenweise liegen die Wracks aus fünf Jahrhunderten Seefahrtgeschichte schon übereinander.

Einem archäologischen Superfund sind die Forscher jetzt auf die Spur gekommen: In der Elbmündung stießen sie auf einen Holzrumpf, der nach Lage und Abmessung das Wrack des 1822 gekenterten Schoners „Gottfried“ sein soll. Dieser hatte zwei Sarkophage mit Mumien ägyptischer Pharaonen an Bord. Die Grabfunde sollten auf dem Seeweg ins Deutsche Museum Berlin überführt werden. Ein Sturm riß den Schatz in die Tiefe. Geborgen wurden damals nur die in Holzkisten verstauten Mumien.

Ärgerlich für Schiffahrts-Museen: Hobby-Schatzsucher plündern zunehmend denkmalgeschützte Schiffe. Profis nutzen den Trend als Marktlücke und bieten Tauchexkursionen zu spektakulären Fundplätzen an, so zur „Jan Heweliusz“. Das polnische Fährschiff war 1993 in der Ostsee vor der Insel Rügen gesunken. 50 Menschen fielen damals der See zum Opfer.

In vielen Fällen hilft nur Bergen oder Sprengen, wenn Wrackteile zu sehr an die Oberfläche ragen. Jüngstes Beispiel ist die 1990 vor Sylt gesunkene norwegische Wohnplattform „West-Gamma“. Sie soll im Mai bis 25 Meter unter die Wasseroberfläche abgetragen werden.

Ungeklärt ist aber natürlich immer noch die Frage, wer die Bergungskosten in Höhe von rund vier Millionen Mark trägt.

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