: Wenn Potenzneid zur Xenophobie wird
■ Schriller Bilderbogen der Aggressionen: „Katzelmacher“ im Winterhuder Fährhaus
Zwischen Flipper und Wohnküche eine Graffiti-übersäte Parkband auf Betonfüßen, dazu ein aus öffentlichen Diensten bekanntes graues Blumentopfmodell bar jeglicher Bepflanzung: Im Saal 1 des Winterhuder Fährhauses haben Insignien grauer Vorstädte Einzug gehalten. Das Berliner Magazin-Theater zeigt Katzelmacher, Rainer Werner Fassbinders Theaterstück von 1968, das Regisseur Martin Woelffer um Versatzstücke aus Gesten und Szenen des gleichnamigen Films ergänzte und es aus der bayrischen Vorstadt in eine Trabantenstadt von heute verlegte.
Die fünf jungen Leute, Marie, Gunda, Helga, Erich und Paul entfalten in kurzen Spielsequenzen und stummen Tableaus einen Bilderbogen von in Alltagsriten erstarrter Langeweile, ängstlicher Kälte und Entfremdung. Elisabeth - mit scharfem Befehlston: Christine Birgl - ist dagegen die junge Geschäftsfrau, die ihren Lover, den Bruno, fest im Griff hat und weiß, was billig ist, zum Beispiel polnische Arbeitskräfte. Der „Katzelmacher“ Jorgos, der für potent gehaltene Fremde - hier kein Grieche sondern ein Masure - bricht ein in die abgeschlossene Vorstadtwelt und löst mit seinem „Nix verstehen“ Xenophobie, Potenzneid, Aggression dem Fremden gegenüber, kurz: das faschistoide Syndrom aus. Mit patentgefaltetem Stadtplan kämpfend erscheint Jorgos (Aleksander Trabczynski) und ist den Mutmaßungen der Clique ausgeliefert. Als Gunda (Eva Mannschott) behauptet, er habe sie vergewaltigt, erfaßt blinde Tatkraft die jungen Männer und sie schlagen ihn zusammen. Im schlichten Bühnenbild mit realistischen Akzenten agiert die Magazin-Truppe mit theatermechanischer Präzision und intensivem Spiel in einer konventionellen Inszenierung. Es gelingt ihnen, Fassbinders künstliche, reduzierte Sprache mit spürbaren Charakteren zu beleben: So wie Helga im pinkfarbenen Röhrenkleidchen darauf geeicht ist, ihre Wirkung auf die Männerwelt zu überprüfen, verstricken sich die Mannsbilder in der Brutalität ihrer Sprachlosigkeit. Dieser Katzelmacher von kunstvoller Handwerklichkeit deutet an, daß Fassbinder das Schicksal, auch zum Bühnen-Klassiker zu werden, nicht erspart bleiben wird. lui
Winterhuder Fährhaus, bis 24. April
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen