: Du, irgendwie überflüssig...
■ Kann denn Wichsen Sünde sein oder: Wenn Erwachsene und Immer-noch-"Bravo"-Leser über jugendlichen Sex diskutieren - und nur die eigene Teen-Zeit betrauen
Überall Sex-Magazine, -Filme, „-Talk-Shows“ und „Aufklärungsliteratur“. Oh jemine! Um den beklagten Zustand fortzuführen und eine vorangegangene Workshopreihe abzuschließen, in der dies und jenes abgehandelt wurde („Wie finde ich meine Prostata?“, „Kann denn Wichsen Sünde sein?“, „Ist Orgasmus ein Muß?“) veranstaltete die „X94“ am Freitag abend eine hochkarätig besetzte Gesprächsrunde in der Akademie der Künste.
„sEX 94 Ona Nie – und was noch“ hieß das, und wie bei jeder Talk-Show waren die Rollen am Anfang schon verteilt. Hier die Guten: Günter Amendt, Ralf und Birgit, zwei sympathische SchülerInnen, die durch die Schulklassen rennen, um ihre AltersgenossInnen niedrigschwellig aufzuklären, der Comic-Zeichner Ralf König, die Feministin Joan Murphy, Reiner Wanielik, dessen freisinnige Aufklärungsbroschüre wg. hübschen Mösen und Erektionsdarstellungen von konservativer Seite stark angefeindet worden war. Da die Schurken: Pascal Somarriba (Benetton), Margit Tetz (Bravo) und Margit Höner, eine Vertreterin katholischer Jugendgruppen. „Ostler“ waren bezeichnenderweise nicht vertreten.
Talk-Show-üblich funktionierte alles natürlich nicht so ganz: sowohl die Rede von Joan Murphy, die die „Pathologisierung“, „Normierung“ und „Genitalisierung“ weiblicher Sexualität beklagte und die herrschende Aufklärung verdammte, als auch die weltgewandten Sätze des fiesen Benetton- Kommunikators, der sich gegen die „konsumistischen Fabeln“ althergebrachter Werbung aussprach, blieben seltsam beziehungslos im Raum stehen. Die Kritik, die man ihm zuteil werden ließ, traf ihn nicht, denn sie bezog sich auf jegliche Form von PR. Die junge Katholin vertrat erwartungsgemäß in etwa die gleichen Positionen wie der linke Aufklärer Günter Amendt, für den gelingender Sex quasi adornitisch nur gegen die herrschenden Verhältnisse möglich ist. Auch Margit Tetz, die bei Bravo die Aufklärungsseite „Sprich Dich aus“ betreut und tagtäglich „300 bis 500“ Leserbriefe bekommt und ständig mit „Jugendlichen“ spricht, schien nicht die rechte Gegnerin zu sein. Auf die üblichen Fragen, die ihr gestellt wurden – ob denn die Leserbriefe auch echt seien etc. – auf die vorhersehbaren Angriffe von Amendt zum Beispiel, der ihr vorwarf, daß Bravo die Leserbriefe nach Marktkriterien veröffentlichen würde, reagierte die Umdiedreißigjährige sehr souverän. Solche Fragen „kotzen mich an“, meinte sie wütend; die Leserbriefredaktion sei eine unabhängige Insel in der Zeitung, mit der auch sie oft „Probleme“ hätte. Nur bei den Überschriften würde ihr ab und an reingeredet werden. Ein wenig übertrieb sie, als sie sich zur authentischen Sprecherin und Verteidigerin der Jugend stilisierte.
Und genau das schien das Problem gerade auch dieser Sex-Talk- Show gewesen zu sein: Auf dem Podium saßen die Experten, die für „die Jugend“ sprechen oder sie aufklären wollen, weil „die Jugend“ angeblich über ihren Sex noch nicht genügend Bescheid weiß, weil sie zum anderen und naturgemäß noch nicht so sauber und gut, eigene Wünsche und Probleme artikulieren und abstrahieren kann und zuweilen auch gar keine Lust dazu hat.
Natürlich wurde die Banalisierung und Entwertung des Sex durch seine fortschreitende Diskursivierung in Medien und Werbung gerade auch von Günter Amendt beklagt, der sich im öffentlichen Raum von den Botschaften obszöner Werbeplakate „verfolgt“ fühlt und so was am liebsten verboten haben möchte, natürlich wurde die gleichzeitige Hochstilisierung der Sexualität bedauert – die Expertenrunde konnte beides letztendlich jedoch nur fortführen und verfiel dazu noch in den üblichen Fehler, Jugendliche zur „Jugend“ zu verallgemeinern. Konkretes, wie die Berichte von Ralf und Birgit, die von ihrer Aufklärungsarbeit erzählten, blieb seltsam beziehungslos im Raum oder wurde von apodiktischen Sätzen, wie, daß trauliche Gespräche über Sex in der bösen Schule ohnehin nicht möglich seien, weggewischt.
Schlimmer noch: dadurch, daß die eigentlich Jugendlichen zugedachte Veranstaltung öffentlich war, waren ungefähr genausoviel Pädagogen, Eltern, grauhaarige Jugendfreunde, die keine Bravo- Ausgabe versäumen, und Medienvertreter anwesend wie Jugendliche. Die „Erwachsenen“ redeten sehr gerne über die oder ihre Jugend und degradierten so die spürbar interessierten echten Jugendlichen, die unverschämterweise aus dem Publikum einmal auch tatsächlich zu ihren Sex-Empfindungen befragt wurden, zu prototypischen Repräsentanten ihrer Generation oder machten es ihnen zumindest sehr schwer, überhaupt zu sprechen.
Zu Recht beklagte die Birgit am Ende, daß zu viele Erwachsene geredet hätten, und die Jugend spendete dem jünger wirkenden Ralf König solidarisch Beifall, als der sagte, daß er sich hier „irgendwie überflüssig“ fühlen täte. Detlef Kuhlbrodt
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