■ Kroaten und Krajina-Serben vereinbarten eine Waffenruhe: Die große Unbekannte heißt Milošević
Ab sofort sollen die Waffen in der Krajina schweigen, am Montag eine Entflechtung der gegnerischen Truppen und ihrer schweren Waffen beginnen. Eine gute Nachricht sicherlich für die Menschen, die unter den seit Januar 1992 immer wieder aufflammenden Kampfhandlungen leiden. Damals war ebenfalls unter UNO-Vermittlung eine erste umfassende Waffenstillstandsvereinbarung über die serbisch besetzten Gebiete Kroatiens erzielt worden, die jedoch keine zwei Wochen überlebte. Ob das jüngste Abkommen länger, ja vielleicht dauerhaft hält, ist davon abhängig, ob sich bald auch eine politische Lösung des Konflikts abzeichnet.
Sind die völlig gegensätzlichen Interpretationen der gestrigen Vereinbarung durch den kroatischen Präsidenten Tudjman und den Führer der Krajina- Serben, Martić, für bare Münze zu nehmen, ist mit einer politischen Lösung vorläufig nicht zu rechnen. Tudjman wertete das Abkommen als Beginn der „vollständigen Wiedereingliederung“ der Krajina in Kroatien, Martić als ersten Schritt hin zur „Selbstbestimmung“ der Serben in einem „selbständigen Staat“. Die Führer der Krajina-Serben setzten darauf, daß sich die jetzt im Detail vereinbarten Waffenstillstandslinien, die von Unprofor-Soldaten und EU-Beobachtern überwacht werden sollen, mit der Zeit zu politischen Grenzen verfestigen werden.
Der große Unbekannte heißt Milošević. Öffentlich hält sich der Präsident Serbiens seit geraumer Zeit auffällig zurück. Ob er hinter den Kulissen die Krajina-Serben weiterhin in ihrem Beharren auf einem selbständigen Staat bestärkt oder sie drängt, sich mit weitgehender Autonomie innerhalb Kroatiens zufriedenzugeben, ist nicht bekannt. Wenn diesem Waffenstillstand jetzt schnell auch die Wiederherstellung von Verkehrs-, Kommunikations- und Wirtschaftsbeziehungen folgen und sich das Leben für die Menschen in der Krajina materiell verbessert, besteht zumindest die Chance, daß die Unsinnigkeit neuer Grenzziehungen erkannt wird und die Idee eines selbständigen Staates an Unterstützung verliert. Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen