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Polizeistaat im Modellversuch

Antifas wurden im Umfeld des sächsischen Parteitages der „Republikaner“ von der Polizei terrorisiert / Anhörung im Dresdener Landtag / Eggert lobte im nachhinein den Polizeieinsatz  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Skandalöse Einzelheiten des massiven Polizeieinsatzes zum Landesparteitag der „Republikaner“ am 20. März bei Chemnitz sind auf einer öffentlichen Anhörung der Linken Liste/PDS im sächsischen Landtag bekanntgeworden. Jugendliche, die gegen das Rep-Treffen in ihrer Heimatstadt protestieren wollten, wurden von der Polizei mißhandelt und stundenlang ohne Rechtsbeistand festgesetzt. Die Stadt Chemnitz hatte für diesen Tag generelles Versammlungsverbot erlassen, obwohl die Reps ihren Parteitag längst nach Thum, 25 Kilometer von Chemnitz entfernt, verlegt hatten. Chemnitz verteidigte das Verbot vor dem Verwaltungsgericht mit „polizeilichen Erkenntnissen“, wonach „1.200 Personen aus dem linken Spektrum“ in die Stadt kommen wollten. Antifas hätten bundesweit „Absprachen“ getroffen. Für die „zu erwartenden Ausschreitungen“ seien „schwarze Masken sowie größere Mengen Farbkugeln mit einem Durchmesser von 1,5 bis 2 Zentimetern“ gebastelt worden. „Ein obskurer Vorgang“, meint Martin Böttger (Bündnis 90/ Grüne): „Wie kommt die Polizei zu diesem Insiderwissen?“ Offenbar hat sie es in diesem Fall nicht erspitzelt, sondern wild aus der Luft gegriffen. Zur Demo aufgerufen hatten jedenfalls nur zwei lokale Bündnisse. Gleich nach Erlaß des Versammlungsverbotes vereinbarte der Chemnitzer Studentenpfarrer Hans-Jochen Vogel mit dem Sozialdezernenten der Stadt, daß sich alle DemonstrantInnen in einem Jugendzentrum treffen können. In diesem Sinn stand auch die Landtagsabgeordnete Angela Schneider (Linke Liste/PDS) morgens auf dem öffentlichen Platz vor der Chemnitzer Stadthalle. Sie gab dem Einsatzleiter der dort ausgebreiteten Polizeihundertschaft zu verstehen, daß sie mit zwei Jugendlichen alle Antifas vom Verbot informieren und zum Jugendzentrum schicken werde. Minuten danach fanden sich die Abgeordnete und drei Begleiter in den Händen der Staatsgewalt wieder. Obwohl sie mehrfach auf ihre Immunität als Abgeordnete verwies, mußte sich Schneider drei Stunden lang verhören lassen. Für den „bedauerlichen Fehler“ hat sich Innenminister Heinz Eggert (CDU) inzwischen bei der Abgeordneten entschuldigt, den Polizeieinsatz jedoch lobte er.

Laut Innenministerium gab es drei Festnahmen, 60 Personen wurden „vorläufig in Gewahrsam genommen“. Alle Betroffenen sind aus dem Raum Chemnitz. Zur Anhörung am Dienstag legten sie nun Gedächtnisprotokolle vor. Demnach wurden sie im Polizeiauto kniend und in Handschellen zum Revier gefahren. Frauen mußten sich in einem Keller entkleiden. Nach Leibesvisitation wurden sie, wieder in Handschellen, verhört. Einem Mädchen wurden die Beine auseinandergetreten: „Bis es weh tat.“ In der eiskalten Zelle erfuhr sie: „In euren Assi-WGs gibt's doch außer Sex keine Heizung.“ Mehrere Jugendliche geben an, daß sie unter Androhung von Gewalt gezwungen wurden, sich der erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. In Thum wurden Jugendliche am Rep-Spalier vorbeigeführt, das ungestraft die Polizei aufhetzte: „Hängt sie auf, die linken Schweine!“ Einer der Betroffenen hat die Antwort eines Polizisten notiert: „Das machen wir später.“

PDS-Landesvorsitzender Peter Porsch und Martin Böttger (Bündnis 90/ Grüne) erkennen in den Chemnitzer Vorfällen eine Vorwegnahme der polizeilichen Praxis, wie sie mit der umstrittenen Novelle zum sächsischen Polizeigesetz angestrebt wird. Zur April- Sitzung soll das Werk verhandelt werden – nach einer aktuellen Debatte über den „Modellversuch“ von Chemnitz.

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