Von allen Seiten Waffen an die Türkei

Entgegen offiziellen deutschen Aussagen sieht die Türkei den Einsatz deutscher Waffen in Kurdistan durch den Nato-Vertrag legitimiert. Und die Nato verhält sich traditionsgemäß loyal gegenüber dem strategisch wichtigen Bündnispartner.

Seit sich die Berichte über den Einsatz deutscher Panzer gegen die kurdische Bevölkerung häufen, wird das Bonner Auswärtige Amt nicht müde, auf eine Vereinbarung mit der Türkei zu verweisen, die einen Einsatz der Waffen im Bürgerkrieg verbietet. In der Türkei sieht man das allerdings anders: Aus dortiger Sicht ist die Abwehr der kurdischen Guerilla durch den Nato-Vertrag gedeckt und der Einsatz der früheren NVA-Panzer demzufolge legitim. So ist es nicht verwunderlich, daß die für den Bürgerkrieg in den Bergen bestens geeigneten achträdrigen Panzerfahrzeuge des Typs BTR-60 und BTR-80 in Kurdistan ständig auftauchen.

Die rund 450 Panzer, die der Türkei kostenlos überlassen wurden, sind Teil einer sogenannten Materialhilfe aus Überschußbeständen der Bundeswehr, die seit 1990 im Wert von insgesamt rund 1,5 Milliarden Mark an den Nato- Partner ging. Außer den Kampfpanzern wurden jede Menge Kalaschnikow-Maschinengewehre und Munition, aber auch Panzerhaubitzen, Brückenlegepanzer und Flakgeschütze geliefert. Ende des Jahres soll die Hilfe auslaufen. Nach Auskunft des Bundestagsabgeordneten im Verteidigungsausschuß, Steiner (SPD), sind nur noch Lieferungen im Wert von 50 Millionen Mark offen.

Bundesdeutsche Waffenlieferungen an die Türkei bestehen jedoch nicht nur aus früherem NVA- Material. Das eigentliche Rückgrat der türkischen Armee ist die Nato-Verteidigungshilfe. Auf Empfehlung des Nato-Verteidigungsrates wurde vor 30 Jahren beschlossen, daß die Bundesrepublik regelmäßige Zahlungen im Sinne eines Ausgleichs zwischen armen und reichen Nato-Ländern an die Türkei, Griechenland und seit 1978 auch an Portugal leistet. Diese Rüstungshilfe wird in sogenannten Tranchen abgewickelt, bis 1989 in 18- und seitdem in 36-Monats-Intervallen. Bis Ende 1994 läuft die 18. Tranche.

Nach Auskunft des Verteidigungsministeriums gingen davon 1992 71 Millionen, in den Jahren 1993 und 1994 jeweils 32 Millionen an den türkischen Rüstungsetat. Ursprünglich sollten die Beträge für 1993 und 1994 je 64 Millionen umfassen – sie wurden aber wegen akuter Haushaltsprobleme des Verteidigungsministers Volker Rühe (CDU) halbiert. Diese Praxis soll nun modifiziert, wenn nicht völlig aufgegeben werden. „Eine 19. Tranche“, so Oberstleutnant Vogt zur taz, „ist derzeit nicht geplant.“ Ob „derzeit“ bedeutet, daß die Militärhilfe eingestellt wird, bis Volker Rühe wieder mehr Geld hat oder bis die Nato ihren Modus der internen Ausgleichszahlungen insgesamt verändert, war dem Oberstleutnant nicht zu entlocken. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes bestätigte allerdings, daß für 1995 im Haushalt für die Nato- Verteidigungshilfe kein Geld eingeplant sei. „Es gibt dafür keine Mittel.“

Wahrscheinlich sind diese Mittel auch nicht mehr in der gleichen Weise erforderlich wie bisher. Bis 1985 war die türkische Armee eine Art Secondhand-Truppe der Nato. Alles, was Amerikaner und Deutsche ausmusterten, ging statt auf den Schrottplatz in die Türkei. Dann legten die türkischen Militärs ein Programm auf, das die eigene Armee bis 1995 auf Nato- Standard bringen soll. Die Gelder der Verteidigungshilfe gehen seitdem zu achtzig Prozent in den Aufbau einer Rüstungsindustrie, die in Lizenz oder im Rahmen von Joint- ventures mit deutschen und amerikanischen Rüstungskonzernen moderne Nato-Waffen produziert.

So wird seit Jahren gemeinsam mit Krauss-Maffei der Leopard-I- Panzer auch in der Türkei gebaut, Blohm + Voss baut mit türkischen Werften Schnellboote und Fregatten; G3-Gewehre von Heckler & Koch sowie Maschinengewehre werden längst in Lizenz in Anatolien produziert. Unmittelbar nach dem zweiten Golfkrieg erhielt die türkische Armee für politisches Wohlverhalten aus der Bundesrepublik und aus den USA noch einmal einen ganzen Schub moderne Waffen, aus dem Hause Rühe beispielsweise 46 Phantom-Aufklärungsflieger.

Wenn die Bundesregierung nun ab 1995 die Nato-Verteidigungshilfe modifiziert, liegt dem ein Bündel unterschiedlicher Motive zugrunde: die leeren Kassen in Bonn, gekoppelt mit dem immer wiederaufflackernden innenpolitischen Ärger wegen der Waffenhilfe für die Türkei – aber auch daß die geplante Modernisierung der türkischen Armee 1995 abgeschlossen ist und der Materialnachschub über den privaten Rüstungshandel gewährleistet ist. Bereits im Oktober 1992 hatte Volker Rühe angekündigt, man werde ab 1995 die Militärhilfe an die Türkei „neu strukturieren“ und durch Wirtschafts- und Ausbildungshilfe ersetzen. Jürgen Gottschlich