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■ Michael Klare zur Gefahr eines Krieges in KoreaNötig ist nun eine Geste des Respekts

Michael Klare ist Professor für „Peace and World Security Studies“ am Hampshire College in Massachusetts, wo er ein Programm zur Friedens- und Konfliktforschung leitet. Er hat zahlreiche Bücher zu Abrüstung und internationaler Politik veröffentlicht.

taz: Im Konflikt um Nordkoreas vermeintliche oder tatsächliche Nuklearwaffen haben sich die USA mit den Sanktionsdrohungen und den Lieferungen von Patriot- Raketen nach Südkorea auf einen gefährlichen Poker eingelassen. Unterschätzt die Clinton-Administration die Brisanz der Situation?

Michael Klare: Ja. Da könnte sich eine Aktion-Reaktion-Dynamik entwickeln, die plötzlich niemand mehr unter Kontrolle hat. Weder die eine noch die andere Seite möchte einen Krieg provozieren, aber beide Seiten könnten den Konflikt in einer Weise hochschaukeln, die das Faß plötzlich zum Überlaufen bringt.

Sehen Sie im Vorgehen der Clinton-Administration, die nun im UN-Sicherheitsrat Sanktionen durchsetzen will und gleichzeitig in Südkorea militärisch aufrüstet, eine schlüssige Strategie? Oder sind die jüngsten Aktionen nur Drohgebärden, mit denen man die Hardliner im eigenen Land zufriedenstellen will?

Clinton ist hier zwischen einen Fels und eine Mauer geraten. Der Fels ist Nordkorea, das keinen Zentimeter nachgibt; die Mauer sind die Hardliner in den USA. Dazwischen hat er sehr wenig Handlungsspielraum. Er hat ganz sicher keinerlei Interesse an einem Krieg gegen Nordkorea. Er weiß, daß eine weitere Eskalation der Drohungen gegen Nordkorea die Lage außer Kontrolle bringen könnte. Solche Schritte stünden zudem den Interessen Südkoreas und Japans entgegen, die eine Zuspitzung der Situation auf alle Fälle vermeiden wollen; und sie würden das ohnehin gespannte Verhältnis zwischen den USA und China noch weiter verschlechtern.

In der Diskussion um die Gefahr der Proliferation von Nuklearwaffen nach Ende des Kalten Kriegs gibt es typische Szenarien: Terroristen, die in den Besitz von Atomwaffen kommen und diese zu Erpressungszwecken nutzen; oder Nationen, die Nuklearwaffen aus macht- und militärpolitischen Gründen anschaffen. Nordkorea ist offenbar der erste Fall, in dem ein Land mit dem Besitz der Atombombe pokert, um wirtschaftliche Hilfe zu erpressen. Könnte das zum Präzedenzfall werden?

Ich würde Nordkoreas Verhalten nicht als Erpressung beschreiben, sondern als absolute Verzweiflungstat. Hier handelt es sich um ein Regime, das seine wichtigsten Wirtschafts- und Bündnispartner, die Sowjetunion und auch China, verloren hat. Es befindet sich international in einer Außenseiterrolle, fühlt sich von fast allen Seiten bedroht und meint, nur mit der Produktion einer Atombombe eine Verhandlungsmasse zu erlangen. Um es zur Aufgabe seines Atombombenprogramms zu bewegen, muß man dem Regime diese Bedrohungsängste nehmen.

Zudem sollte man den Fall Nordkorea in die richtigen Relationen setzen. Was die Weiterverbreitung von Atomwaffen angeht, so ist Nordkorea ein relativ kleines Problem. Indien und Pakistan zum Beispiel haben sehr viel größere Atomwaffenarsenale und sind nach meiner Einschätzung viel eher bereit, diese zu benutzen. In der Öffentlichkeit hört man aber keine alarmierenden Berichte oder Kommentare über diese beiden Nationen. Nordkorea hat vielleicht ein oder zwei Atombomben. Die CIA glaubt zu wissen, daß Nordkorea genug waffenfähiges Plutonium für ein oder zwei Bomben hat. Wer sich die entsprechenden Äußerungen von CIA-Chef James Woolsey durchliest, stellt aber fest, daß sich die CIA nicht sicher ist, ob die Nordkoreaner bereits eine Bombe gebaut haben. Genügend Plutonium zu haben ist eine Sache; eine einsatzfähige Atombombe zu bauen ist eine andere, sehr viel schwierigere Angelegenheit. Und selbst wenn Nordkorea im Besitz einer Atombombe ist: Mit einer Bombe fängt es bestimmt keinen Krieg an. In Pjöngjang weiß man, daß dies sofort einen Vergeltungsschlag der USA nach sich ziehen würde.

Welchen Rat würden Sie also dem US-Präsidenten geben?

Es gibt meines Erachtens ein Versäumnis auf seiten der USA: Sie haben den Nordkoreanern bislang keine Gespräche auf hoher Ebene angeboten. In dieser Auseinandersetzung das Gesicht zu wahren ist für die Nordkoreaner enorm wichtig. Die USA sind zwar bereit, mit Nordkorea zu verhandeln, aber nur auf der unteren Regierungsebene – begleitet von einer sehr feindseligen Rhetorik. Mein Vorschlag an die Clinton- Administration wäre: Geht mit Nordkorea so um, wie der damalige US-Außenminister Henry Kissinger dies 1971 mit China gemacht hat. Er fuhr zu einem Zeitpunkt nach Bejing, als die amerikanisch- chinesischen Beziehungen ebenfalls extrem belastet waren. Es gibt in solchen Konflikten einen Punkt, wo man einen hochrangigen Politiker losschicken muß, um zu verhandeln. Eine solche Geste des Respekts – und ich spreche wohlgemerkt von Respekt, nicht von Nachgeben in der Sache – würde das Verhandlungsklima entscheidend beeinflussen. Ich würde also an Clintons Stelle Außenminister Christopher oder Sicherheitsberater Anthony Lake nach Pjöngjang schicken.

Nun sind in der letzten Zeit immer wieder Berichte über die rege Plutoniumsproduktion in Japan aufgetaucht – verbunden mit dem Verdacht, Japan könnte möglicherweise ein Atomwaffenprogramm starten. Sind das erste Anzeichen für ein nukleares Aufrüsten in Asien?

Ich glaube nicht. Aber im Gegensatz zu westlichen Ländern, denkt man in Asien bei dem Wort „Zukunft“ an die nächsten fünfzig bis hundert Jahre – nicht an die nächsten drei bis sechs Monate. Die Japaner wollen in absehbarer Zukunft sicher keine Atomwaffen herstellen, aber sie halten sich diese Option für das 21. Jahrhundert offen, dessen Machtverhältnisse und Koalitionen völlig ungewiß sind. Neue Großmächte könnten entstehen; die USA könnten zum Gegner Japans werden. Japan will ganz offensichtlich seine nächste Generation politischer Führer mit einer nuklearen Option ausstatten.

Wie steht es vor dem Hintergrund des Konflikts mit Nordkorea, aber auch der nuklearen Aufrüstung in anderen Ländern um die US-Außenpolitik der Clinton- Regierung, die es ja zu einer der Prioritäten erhoben hat, die Verbreitung von Atomwaffen zu verhindern?

Die Gefahr der Proliferation von Atomwaffen hat in den USA die kommunistische Gefahr als Grundlage der Sicherheitspolitik abgelöst. Das wird auch ganz offen so gesagt, und es erklärt die politische Rhetorik, die dementsprechend martialisch ist. Doch all das steht in keinem Zusammenhang mit der Realität der Verbreitung von Atomwaffen. Denn der eindeutig größte Problemfall in Sachen Proliferation ist Israel, gefolgt von Pakistan und Indien. Viel weiter unten folgen Libyen, Syrien, Iran oder Nordkorea. Die schärfste US-Rhetorik richtet sich jedoch gegen die Länder, die ganz unten auf der Proliferationsskala stehen. Die US-Politik zur Verhinderung der Proliferation von Atomwaffen hat also nichts mit der Realität des Problems zu tun, sondern mit der Konfusion innerhalb der amerikanischen Sicherheitspolitik nach Ende des Kalten Krieges. Es ist die verzweifelte Suche nach neuen Feinden. Interview: Andrea Böhm

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