: Most Wanted: Deutsche Knödelköchinnen
■ Günther Schauenberg, Leiter der Auslandsabteilung der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung in Frankfurt am Main, über die Aussichten auf einen Job im Ausland
taz: Neben der Schwierigkeit, ein Visum zu bekommen, ist der nicht vorhandene Arbeitsplatz die höchste Hürde vor der Auswanderung. Wie stehen die Chancen auf einen Job in Osteuropa, dem westeuropäischen Ausland, den Entwicklungsländern und den klassischen Auswanderungsländern Australien, Neuseeland, USA und Kanada?
Günther Schauenberg: Fangen wir mit Osteuropa an. Generell hat kein Deutscher Interesse, dorthin zu gehen. Die Einkommen sind zu niedrig. Wenn jemand geht, dann im Rahmen von Consulting-Unternehmen, die den wirtschaftlichen und technologischen Aufbau dieser Länder begleiten. In dem Bereich Wirtschaft oder Ingenieurwesen werden zunehmend Führungskräfte gesucht, die eine osteuropäische Sprache sprechen. Der zweite Weg: Das „Zentrum für internationale Migration und Entwicklung“ vermittelt Führungskräfte an Entwicklungsprojekte. Das ist ein ganz besonderes Programm für die Entwicklungsländer und Osteuropa. Daneben gibt es vereinzelt Leute, die aus altruistischen Motiven nach Osteuropa gehen, wie etwa die Krankenschwester, die für ein Jahr in Kasachstan für 20 oder 50 Mark im Monat hart arbeitet.
Und die Entwicklungsländer?
Da muß man differenzieren. Bei den „low developed countries“, den gering entwickelten Ländern, gibt es ebenfalls gute Möglichkeiten für Consulting-Experten oder über das Zentrum für internationale Migration und Entwicklung. Auch internationale Organisationen schicken Leute dorthin. Bei manchen der sogenannten Schwellenländer kann es dagegen für Handwerker und Ingenieure durchaus lohnend sein, dort zu örtlichen Bedingungen zu arbeiten. Das gilt besonders für Südamerika, also Länder wie Mexiko, Chile, Argentinien und teilweise Brasilien sowie den Nahen Osten. Da gibt es auch keine großen Probleme, eine Stelle zu finden.
In den klassischen Einwanderungsländern, die die größte Anziehungskraft haben, ist die Situation leider schwieriger.
Bei den USA, Kanada, Australien und Neuseeland ist die Nachfrage natürlich riesig. In diese Länder reinzukommen ist in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, vor allem wegen der restriktiven Einwanderungsbedingungen. Die Chancen, etwa in den USA Fuß zu fassen, sind bei einer Verlosung von Green Cards (Einwanderungs- und Arbeitserlaubnis, d. Red.) größer, als wenn man auf eigene Faust einen Job sucht. Dann müßte ein Betrieb vor Ort einen Ausländer gezielt anfordern und den Behörden nachweisen, daß kein Amerikaner diesen Job machen könnte. Eine deutsche Knödelköchin etwa, die in Disney World im Deutschland-Park arbeiten wollte, würde sofort ein Visum bekommen. Auch Wissenschaftler mit ganz speziellen Forschungsgebieten könnten Chancen haben. Oder etwa Spitzensportler und Künstler. In den USA sind auch Lehrer Mangelware.
Früher hieß es, Handwerker sind immer gefragt, speziell in Australien.
Die Zeiten sind vorbei. Die Berufe, die noch nachgefragt werden, sind auf sehr große Spezialitäten zusammengeschrumpft. Das sind aber in der Regel nicht die Leute, die auswandern, um der Arbeitslosigkeit zu entkommen.
Wie groß ist die Nachfrage nach den klassischen Einwanderungsländern? Wie viele Leute können Sie vermitteln?
Insgesamt gibt es bei uns jährlich rund 155.000 Anfragen nach Jobs im Ausland. Über die Hälfte zielen auf die klassischen Einwanderungsländer. Die Vermittlungsquote ist aber sehr ernüchternd. Bei den USA kommen wir auf etwa 200 Vermittlungen im Jahr, bei Kanada auf 100. Bei Australien und Neuseeland sind die Zahlen zweistellig. Man muß aber auch sagen, daß viele Interessenten gar nicht auslandsfähig sind.
Was heißt „nicht auslandsfähig“?
Sprachkenntnisse fehlen. Mit rudimentären Englischkenntnissen kann man in den USA oder Australien nicht landen. Die Sprachkenntnisse werden von uns auch überprüft. Die zweite Schwierigkeit ist, daß die Bewerber ihren Ehepartner nicht mitnehmen können. Der bekommt nur ein Touristenvisum, kann aber nicht arbeiten und muß nach sechs Monaten – etwa aus den USA – ausreisen.
Was ist mit Westeuropa?
Dort ist seit Anfang des Jahres – außer bei der Schweiz – die Einwanderung kein Problem. Es besteht Freizügigkeit. Und die Situation auf den Arbeitsmärkten ist mit der in der Bundesrepublik weitgehend identisch. Wer also hier keine Schwierigkeiten bei der Jobsuche hat und die entsprechende Sprache spricht, den können wir auch problemlos in ein westeuropäisches Land vermitteln. Das waren 1993 rund tausend Leute.
Was bringt das „Eures“-System Neues?
Das Eures-System ist von der Europäischen Union mit dem Ziel aufgebaut worden, in den Mitgliedsländern eine kompetentere Beratung zu ermöglichen. Gut 300 Berater wurden bisher in diesem Rahmen geschult. Sie können dann mit Hilfe des Eures-Datennetzes schneller und unbürokratischer arbeiten. Bisher existiert aber nur die Hardware. Die Software sollte Anfang 94 installiert werden, kommt jetzt aber nicht vor dem Herbst.
Mit diesem System können Sie direkt Arbeitsplätze vermitteln.
Das geht per E-Mail und Fax. Mit E-Mail kann ich beispielsweise mit einem Kollegen in Barcelona kommunizieren und per Fax ein Arbeitsplatzangebot erhalten.
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