Novitäten und Raritäten am Millerntor

■ 4 Stürmer, 2 Tore, 1 Gegentor und flüchtende Fans bei St. Paulis 2:1 gegen TeBe von Jens Stümpel

Der Aufstieg ist greifbar nahe: Mit einem 2:1-Sieg gegen das Schlußlicht Tennis Borussia Berlin schraubte der FC St. Pauli seine Erfolgsserie auf 20:4-Punkte in Folge.

Aber die 15.019 Zuschauer erlebten ein ungewöhnliches Spiel für Millerntor-Verhältnisse: Das erste Mal seit 182 Tagen (da hatte Jenas Gerlach getroffen) mußte Keeper Andreas Reinke in einem Heimspiel wieder einen Ball aus dem Tor holen. Der Spielverderber hieß Michail Roussajew, einzige Spitze der Berliner Gäste. St. Paulis Manndecker Dieter Schlindwein ließ ihm in der 45. Minute viel Platz, Roussajew bedankte sich artig und schob den Ball aus 16 Metern flach in die rechte Ecke.

Die Fans waren entsetzt. Behäbig schleppten sich die St. Pauli-Profis über den Platz, kein Tempo, kein Biß in den Zweikämpfen, von spielerischen Glanzpunkten ganz zu schweigen. Pfiffe ertönten in der Halbzeitpause, nach einer Stunde bereits verließen einige Fans mit Zornesröte im Gesicht das Stadion - ein echtes Novum am Hamburger Millerntor.

Neu war auch die Risikobereitschaft von FC-Trainer Seppo Eichkorn: Zur Halbzeit wechselte er mit Arie Hjelm Angreifer Nummer drei ein und nach 63 Minuten folgte Angreifer Nummer vier: Der Torjäger der Amateure, Jens Scharping, durfte seine Heimpremiere feiern. Als er von Assi Nemet herangewunken wurde, war er völlig überrascht, riß kurz die Arme hoch, lief dann im Sprinttempo Richtung Bank, wo er bei Ankunft bereits seine Trainingsjacke ausgezogen hatte und die Traninigshose folgte im Eiltempo.

Der „Babyspeck-Bomber“, wie er leicht despektierlich von einigen Zeitungen getauft wurde, rückte ins Sturmzentrum, kämpfte, bewies Übersicht, wodurch das Sturm-Duo M+M, Martin Driller und Marcus Marin plötzlich mehr Freiräume hatten, die sie prompt zu zwei Toren nutzten. 67. Minute: Ein Traumpaß von Carsten Pröpper auf Driller, schöner Rechtsschuß aus 14 Metern - der Ausgleich. Gut zehn Minuten später zeigte der Bayer Andreas Mayer seine Qualitäten, bedient Marin mustergültig, der den Ball mit dem Außenrist ins Netz schlenzt - das 2:1. Zwei glänzend herausgespielte Tore, eine echte Rarität am Hamburger Millerntor.

Verwunderlich war nur die Tatsache, daß Schiedsrichter Aaron Schmidhuber nicht bei den Toren jubelnd hochsprang, denn der bevorteilte die Millerntor-Kicker, wo er nur konnte. Doch zurück zu Jens Scharping: Seinen größten Auftritt hatte er in der 82. Minute, als er sich an der Außenlinie einen Ball erkämpfte, per „Grätschpaß“ Marin alleine auf das TB-Tor schickte, dieser aber die Chance zum 3:1 leichtfertig vergab.

Nach dem Spiel waren die beiden Torschützen voll des Lobes für den 19jährigen Nachwuchsstürmer. Driller: „Ein echter Mittelstürmer-Typ - er ist im Team voll akzeptiert, wird seinen Weg im Profi-Fußball machen.“ Marin: „Er ist vor dem Tor enorm gefährlich, hat sich vom Taktischen her erheblich verbessert.“ Da war Seppo Eichkorn - was keine große Überraschung ist - wesentlich vorsichter: „Er hat ganz ordentlich gespielt...“ Die Fans waren sich jedenfalls einig: Wenn schon Leo Manzi als Liebling der Gegengeraden meist auf der Bank schmort, dann soll der „Lütte“ wenigstens häufiger eingesetzt werden. Vielleicht schon heute abend beim Gastspiel des FC bei Mainz 05 (17.45 Uhr).