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Wir sind die Beule

■ Seit fünfzehn Jahren funkt das Berliner Frauenradio "Zeitpunkte" konsequent dazwischen

Heute vor fünfzehn Jahren ging der SFB-Frauenfunk „Zeitpunkte“ auf Sendung. Vor allem wegen seiner treuen HörerInnen, welche die vielen Programmreformen und Frequenzwechsel mitmachten und mehrfach rettende Initiativen starteten, überlebte die Frauenredaktion den allgemeine Hörfunkabgang ins Seichte. Mit den „Zeitpunkte“-Redakteurinnen Magdalena Kemper und Claudia Ingenhoven sprach Klaudia Brunst.

taz: Ihr seid zwei Wochen älter als die taz. War 1979 ein gutes Gründungsjahr für Alternativmedien?

Magdalena Kemper: Wir waren beim SFB natürlich formal öffentlich-rechtlich. Aber unsere Personalstruktur war schon alternativ. Wir waren Frauen aus allen möglichen Gewerben. Neben den Journalistinnen, die es natürlich auch gab, kamen viele Aussteigerinnen von der Uni oder aus anderen Berliner Frauenprojekten. Das war schon außergewöhnlich.

Claudia Ingenhoven: Und es waren ungewöhnlich junge Frauen.

taz: Sollten die „Zeitpunkte“ ein feministisches Projekt werden?

Kemper: Nicht explizit. Aber ich glaube, daß die Mehrheit schon ein feministisches Konzept im Kopf hatte. Über bestimmte Essentials mußten wir uns einfach nicht mehr verständigen.

taz: Hattet Ihr da anfangs Probleme mit eurem Publikum? Ihr sendet schließlich vormittags, zur sogenannten Hausfrauenzeit.

Kemper: Tja, der Hausfrauenfunk. Ich denke, wenn die hier im Sender gewußt hätten, was auf sie zukommt – wir wären sicher nicht entstanden. Die wollten eigentlich ein nettes Magazin für Hausfrauen ab fünfzig haben. Wir haben dann einfach neu definiert, was Frauen angeht. Wenn wir über Gewalt in der Familie oder Gewalt gegen Kinder berichten, hat das mit Hausfrauenfunk nichts zu tun. Da geht es um patriarchale Normen.

Ingenhoven: Es gab mal vor Jahren einen Beitrag, in dem eine Frau beschrieben hat, wie sie die Wände hochläuft, weil sie es mit ihrem Kind nicht mehr aushält. Nach dieser Sendung stand das Telefon nicht still, weil sich viele Frauen zu Hause in der gleichen Situtation befinden. In diesem Sinne mache ich gerne Hausfrauenfunk. Im übrigen werden wir zur Hälfte von Männern gehört.

taz: Aber in erster Linie richtet Ihr euch doch an Frauen. Gibt es da thematische Grenzziehungen in eurem Konzept?

Ingenhoven: Die Ausgangsfrage ist natürlich immer: „Interessiert es Frauen?“ Wenn es die Männer dann auch interessiert, um so besser. Bei allgemeinen Themen suchen wir nach dem Ansatz, der Frauen besonders beschäftigen könnte, und der sonst nicht berücksichtigt wird.

Kemper: Man kann auch eine feministische Hühnerhofreportage machen, sagt eine Kollegin immer. Das ist dann der berühmte weibliche Blick – was immer das ist. Aber es gibt natürlich auch bei uns Debatten über die Frage, welche Positionen noch in unser Konzept passen. Schließlich kann nicht jeder einzelne Beitrag streng auf feministischer Linie sein. Es gibt bei uns kein Denkverbot. Früher hatten wir da sicher die reinere Lehre.

taz: Früher waren die Feinde ja auch klarer auszumachen.

Kemper: Die Überlebensgeschichte des Frauenfunks ist erstaunlicherweise seit jeher von der Debatte gekennzeichnet, ob wir Frauen den eigenen Schrebergarten eigentlich immer noch nötig haben. Das war schon 1979 so. Immer sollen wir unsere Themen in die anderen Ressorts tragen. Aber wir wissen genau – und die taz ist letztlich auch ein Beispiel dafür – daß es gewisse Sachen dann nicht mehr gibt. Besser ein Schrebergarten als gar nichts.

Ingenhoven: 15 Jahre Frauenfunk bedeuten auch 15 Jahre Sachverstand. Das darf man nicht vergessen. Frauenthemen sind oft kompliziert und müssen behutsam und langfristig betreut werden.

taz: Habt Ihr nach 15 Jahren manchmal das Gefühl, die Debatten wiederholten sich?

Kemper: Schon. Der Paragraph 218 zum Beispiel. Da findest du kaum eine Mitarbeiterin, die Lust hat, den neusten Schlenker in der Debatte zu kommentieren. Das ist schon bitter. Oder Frauenarbeitsmarkt, Frauenförderpläne, Projektgeldstreichungen...

taz: Vermißt Ihr auch den theoretischen Diskurs?

Kemper: Es gibt ja immer noch Debatten, über die Mißbrauchsfrage oder Frauen als Täterinnen, zum Beispiel. Aber sie haben sich mit den Jahren verändert. Allmählich muß man gewisse Widerprüche zur Kenntnis nehmen. Aber das heißt nicht, daß der Rest gleich nicht mehr stimmt. Natürlich gibt es auch Themen, die ich nicht mehr hören kann. Aber es gibt keine abgehakten Diskussionen.

taz: Haben euch die vielen Frequenzwechsel geschadet?

Ingenhoven: Sicher haben wir HörerInnen verloren, wir haben hier auf der Kulturschiene aber auch neue dazugewonnen. Menschen, die vorher mit unseren Themen überhaupt keine Berührung hatten.

Kemper: Und wir machen immer noch unsere Beule. Programmqualität wird ja heute nur noch nach statistischen Kurven beurteilt. Wir sind im Dritten Programm die Beule! So langweilig kann der Feminismus ja noch nicht sein.

Ingenhoven: Seit es die Statistik gibt, nimmt man uns auch in der Programmdirektion zur Kenntnis. Da kommt dann sogar unser Wellenchef zu uns und beglückwünscht uns mit Champagner zu unserer Quote. Und der gehört bestimmt nicht zu unseren besten Freunden.

taz: Ist euer Quotenerfolg ein Anreiz für junge Mitarbeiterinnen, oder fürchten die eher, an den weichen Frauenthemen hängenzubleiben?

Ingenhoven: Eine Zeitlang war das sicher so. Da hatten die Volontärinnen doch deutliche Berührungsängste. Inzwischen haben wir aber einen ganz ansehnlichen Ruf unter den Auszubildenden.

Kemper: Die haben irgendwann begriffen, daß wir hier auch Journalismus machen. Und es gibt im Hörfunk nicht mehr viele Programme, wo Frauen mehr als Schnipseljounalismus machen können. Auch im Hinblick auf andere feministische Projekte sind wir in Berlin ja fast die einzigen, die noch übriggeblieben sind. Das ist leider auch eine große Belastung. Die Last der Verantwortung wird größer. Wir können doch nicht all die vielen Projekte, die jetzt abgewickelt werden, nacheinander in der Sendung vorstellen. Das will sich dann auch wirklich niemand mehr anhören.

Ingenhoven: Erst haben wir Beitrag um Beitrag daran mitgewirkt, daß diese Initiativen endlich vom Senat finanziert wurden, und jetzt werden sie alle Stück für Stück wieder gestrichen.

taz: Worauf seid Ihr in der Rückschau von fünfzehn Jahren „Zeitpunkte“ am meisten stolz?

Kemper: Daß es uns überhaupt noch gibt. Daß wir alle Nivellierungserscheinungen im Hörfunk überlebt haben und daß wir trotz aller Frequenzwechsel immer Erfolg bei unseren HörerInnen hatten. Die Beule macht schon stolz.

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