piwik no script img

„Partei nehmen für Ausgegrenzte“

■ Nordelbische Kirche richtet in Hamburg die bundesweit erste Stelle für einen Aids-Pastor ein / Büro im Brennpunkt St. Georg Von Werner Hinzpeter

„Die Stelle paßt für mich“ beschreibt Rainer Jarchow seinen ersten Gedanken, als er die Ausschreibung für einen Hamburger Aids-Pfarrer las. Daß er die Stelle tatsächlich seit Anfang des Monats besetzt, ist bei seinem Lebenslauf allerdings eine Überraschung.

Der in Hamburg geborene Pastor stieg 1980 aus dem kirchlichen Dienst aus und zog in ein alternatives Projekt auf der griechischen Insel Ithaka. Zwei Jahre später eröffnete er eine psychotherapeutische Praxis in Köln und arbeitete seit den ersten Meldungen über die Viruskrankheit konsequent – außerhalb der Kirche – für und mit Menschen mit HIV und Aids.

Jarchow ist zudem Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aids-Stiftung „positiv leben“, in die er große Teile seines Erbes als Sohn eines Bitterlikörfabrikanten steckte; er ist Mitglied im Nationalen Aids-Beirat, Gründer der bundesweit ersten Aids-Hilfe in Köln und etabliertes Mitglied der Schwulenbewegung.

„Es ist fast sensationell, daß die Kirche so eine Stelle eingerichtet hat und ebenso sensationell, daß sie sich entschlossen hat, mich zu nehmen“, beurteilt der frischgebackene Aids-Pastor denn auch die Wahl, durch die er nun in seine ehemalige Kirchengemeinde St. Georg zurückgekommen ist. Propst Willi Rogmann begründete die einstimmige Entscheidung der Kommission mit der Qualifikation des 52jährigen Jarchow: „Er bringt sehr viel mit von sich, seiner Ausbildung, seiner Person und seinem Werdegang“.

Jarchow, der die erste Aids-Pfarrstelle in Deutschland besetzt, die nicht in der Krankenhausseelsorge angesiedelt ist, will mit anderen Beratungsstellen zusammenarbeiten, Kontakte mit Betroffenen, Angehörigen und Hinterbliebenen pflegen und sich um Information und Fortbildung bemühen. Sein erklärtes Ziel ist, daß die Kirche „bedingungslos Partei nimmt für die HIV-Infizierten und Aids-Kranken, die von der Gesellschaft immer noch ausgegrenzt werden“. Sie müsse erkennen, daß sie hier bisher „viel zu wenig getan hat“.

Den nebenberuflichen Aids-Beauftragten des Kirchenkreises Altona, Miguel Schaar, sieht Jarchow „nicht als Konkurrenten“. Er sei auf dessen Erfahrungen angewiesen und will das Gespräch mit ihm suchen. Auch Schaar, der bei seiner Arbeit immer wieder mit Kirchenvertretern in Konflikt geraten ist, zeigte sich bereits dialogbereit: „Ich sehe in Jarchow einen guten Partner“.

Sein Büro wird Aids-Pastor Jarchow in der Brennerstraße in St. Georg beziehen: In der Nähe zu zahlreichen Gesundheits-, Pflege- und Beratungsangeboten und im direkten Umfeld von Huren, Strichern und Fixern.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen