: Die drei Tränen der Travestie
Aus der Not zum Konzept: Urs Lüthi installiert Selbstbildnisse im Zeughauskeller der Festung Rüsselsheim ■ Von Britta Färber
Urs Lüthi präsentiert sich wie auf einem südseeblauen Laufsteg: Eingetütet in großformatige Plastikhüllen wird sein Werk, einer Sammlung loser Blätter gleich, aufgeschlagen. Hier darf gegrapscht und geblättert werden. Eine Retrospektive so unprätentiös wie die Auslage eines Poster- Discounts – „sculpture by Urs Lüthi“.
Auf einem langen Podest stehen aus Holz gefertigte Grafikständer. Fotografien und Grafiken, Ausstellungsplakate und Postkarten – aufgezogen auf weißen Karton – dokumentieren in weitgehend chronologischer Folge die unterschiedlichen Stationen seines Schaffens.
Die Idee für diese ungewöhnliche Präsentationsform liefert Lüthi selbst und reagiert so auf eine kuriose räumliche Situation – bietet doch der Zeughauskeller der Festung Rüsselsheim als historisches Tonnengewölbe keinerlei Ausstellungsflächen. Wo gerade Wände, in die zudem keine Nägel geschlagen werden dürfen, rar sind, lassen sich schließlich nur schwerlich Blätter hängen. Urs Lüthi machte mit seinen Grafikkrippen aus der Not ein Konzept, eine Installation. Und dem Rüsselsheimer Kunstverein, der erst seit einem halben Jahr existiert, verhalf der prominente Schweizer so zu einem verblüffenden Debüt.
Dunkles, schulterlanges Haar umrahmt das Gesicht des androgynen Jünglings. Kokett beschminkt, mit laszivem Blick und halb geöffnetem Mund provoziert er. Mit freiem Oberkörper exhibitioniert er sich und zeigt als „Numbergirl“ (1973) ein Bild im Bild. Ins enge Schlangenlederjäckchen gepreßt fließen drei Tränen über seine weichen Züge – „Lüthi weint auch für sie“ (1970). Der Künstler als Akteur, als sein eigenes Modell vor der Kamera. Variantenreich moduliert Urs Lüthi dieses Leitmotiv in den siebziger Jahren, ohne jedoch autistische Bildwelten zu suchen. Vielmehr ist es die exemplarische Inszenierung von Zuständen, Emotionen und Haltungen, der die Travestie dient. Die Fotografien haben, erklärt der Rollenspieler 1973, „nur noch wenig mit mir zu tun. Ich gehe mit mir selbst wie mit einer fremden Person um. Wenn ich aber trotzdem immer wieder meine eigene Person wähle, so deshalb, weil ich zu ihr die meisten Beziehungen habe. Das Bild als Bild wird somit realer, denn ich versuche die vielschichtigen Aspekte, die mit meiner Person in Zusammenhang stehen, auszuleuchten.“
In all ihrer Künstlichkeit werden diese Inszenierungen stets von den Objekten bestimmt, die ihre Spur auf dem Negativ hinterlassen. Der Wunsch nach größerer formaler Unabhängigkeit führt ihn nach 1980 zurück zur Malerei, mit der er schon als Zwanzigjähriger gearbeitet hatte. Suprematismus und Fotorealismus, Matisse und Picabia, Figur und Ornament – auf der Leinwand mixt und zitiert Lüthi querbeet. In den Vordergrund rücken Versatzstücke der traditionellen ästhetischen Welt, doch hinter der Schönheit dieser Oberflächen verbirgt sich kein avantgardistischer Wille, die Malerei an sich zu hinterfragen und womöglich neu zu definieren, sondern pure Ästhetik. Große Gefühle als Programm: Von der Gratwanderung zwischen Erhabenem und Kitsch erzählen die unendlichen Wellen des blauen Meeres „Aus der Serie der reinen Hingabe“ (1986).
Eine weitere Zäsur setzt die Rückkehr der eigenen Person als Motiv in die gestalterische Arbeit. In den späten achtziger Jahren entstehen Bronzebüsten, die den inzwischen kahlköpfigen Künstler portraitieren. Tatsächlich scheint die Faszination an Lüthis Werk vor allem über die, wenn nun auch stark reduzierte, Präsenz des Künstlers zu funktionieren. Über seine Person scheint der Einstieg in das ästhetische Gesamtprogramm, das er in den Gemälden vorformulierte, möglich.
Das Allgemeine wird wieder im Individuellen verankert. So bilden die Mixed-Media-Arbeiten und Installationen der neunziger Jahre eine durchaus logische Synthese aus Fotografie und Malerei in der Konzeption Lüthis. „Aus der Serie der universellen Ordnung“ lautet entsprechend der Titel einer umfassenden Werkgruppe dieser Jahre. In vielerlei Medien, mit Zitaten gespickt, werden hier Portraits des Künstlers und perfekt gestylte Oberflächenstrukturen konfrontiert. Dieses hochartifizielle ästhetische System als Ganzes steht in Rüsselsheim auf dem Laufsteg und mit ihm der blätternde Betrachter.
„Printed Works – a sculpture by Urs Lüthi“. Noch bis zum 10.April im Zeughauskeller der Festung Rüsselsheim zu sehen.
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