: „Wir brauchen das prophetische Wort“
Der Rheinhausener Pfarrer Dieter Kelp gibt der PDS „Vertrauensvorschuß“ und will ihr helfen, in den Bundestag zu kommen / Seine Kandidatur stößt bei vielen auf Unverständnis ■ Von Walter Jakobs
Rheinhausen (taz) – Nein, ohne Zweifel ist Dieter Kelp nicht. Er spricht von „Vertrauensvorschuß“, von dem „Eindruck, daß die PDS es ernst meint mit der Umkehr, mit der Wegwendung von der SED“, aber ganz sicher, „ob das Vertrauen gerechtfertigt ist, bin ich mir noch nicht“. Doch an dieser Prise Mißtrauen wird seine Nominierung am Ende wohl nicht scheitern. Anfang April kürt der Mini-Landesverband der PDS in Nordrhein-Westfalen seine Bundestagskandidaten – und Pfarrer Kelp ist als Parteiloser dabei. Voraussichtlich auf Platz drei. Platz eins gebührt Gregor Gysi und Platz zwei einer Frau.
Schon allein die Ankündigung des Noch-Österreichers, sich auf einer offenen Liste der PDS zur Verfügung zu stellen, hat in Rheinhausen ein mittleres politisches Beben erzeugt. Der Pfarrer bei der PDS? Das mochten viele nicht glauben, die den engagierten Prediger jahrelang an der Seite der Rheinhausener Stahlkocher erlebt hatten und ihn politisch eher bei den Sozialdemokraten wähnten. Kein Verständnis hat Manfred Bruckschen, lange Jahre Betriebsratsvorsitzender der inzwischen stillgelegten Krupp-Stahlhütte und seit 1990 Landtagsabgeordneter der SPD: Daß Kelp, dessen „Glaubensbrüder im SED-Staat verfolgt worden sind“, nun für die „Nachfolgepartei der SED“ um Stimmen wirbt, kann er „nicht fassen“. Noch hegt er die Hoffnung, Kelp möge „so intelligent sein, seinen guten Ruf nicht so leichtfertig zu verspielen“. Außer einigen „schlimmen Entgleisungen“ hat Kelp selbst „überwiegend positiv-diskursive“ Reaktionen erfahren. Enttäuscht ist der 56jährige, der den um ihre Arbeitsplätze kämpfenden Rheinhausener Stahlkochern jahrelang bei unzähligen Gottesdiensten und Demonstrationen zur Seite stand, nur darüber, daß sich Menschen, „von denen ich dachte, sie seien mit mir befreundet“, sich nun wortlos zurückziehen. Inzwischen wertet Kelp die Aufregung um seine Kandidatur als „hilfreiche Überprüfung meiner bisherigen Beziehungen, wenngleich eine ernüchternde“. Kelp glaubt, daß es abseits der traditionell strukturierten Parteien eine Opposition geben muß, die ohne Rücksicht auf tagespolitische Machtfragen agiert. „Die Gesellschaft braucht das prophetische Wort, eine Struktur des Mahnens und eine intensive Diskussion und Überprüfung von Utopien“. Warum ausgerechnet bei der PDS? Weil die Grünen inzwischen „machtversessen, total greminisiert sind und offene, bürgerschaftliche Listen kaum mehr zulassen“. Und die SPD? Nun, er billigt auch den meisten SPD-Politikern zu, daß sie sich „zugunsten der Unterprivilegierten verwenden“, aber die Partei habe schon in der Opposition so vielen sozialen Grausamkeiten zugestimmt, daß er unter einer SPD-Regierung eigentlich nur „die Fortsetzung der sozialen Katastrophe“ erwartet.
Von Gottes Wort künden und gleichzeitig eine Partei unterstützen, deren Mitglieder überwiegend der radikal atheistischen SED entstammen? Geht das zusammen? Für Kelp weist die Bibel selbst die Antwort. „Vergebung“ und „Umkehr“ sind für ihn Schlüsselbegriffe des neuen Testaments, die „Umkehr überhaupt Voraussetzung dafür, daß das Leben von Christen gelingen kann“. Weil er der PDS zugute hält, es mit der Umkehr ernst zu meinen, fühlt er sich frei, sie zu unterstützen. Dabei ist sich Kelp bewußt, daß der von der PDS-Bundestagsgruppe eingebrachte neue Verfassungsentwurf im Artikel 40 die Rechtspositionen der Kirchen so stark schwächt, daß die Umsetzung auf „eine Zerschlagung bisheriger kirchlicher Strukturen hinausliefe“. Der neugefaßte Artikel weise Spuren von der „militant atheistischen SED-Vergangenheit“ auf. Nach schriftlichen Einwendungen und entsprechenden Signalen seitens der Parteiführung zeigt sich Kelp zuversichtlich, daß der Abschnitt neu gefaßt wird. Das würde die evangelische Kirchenleitung, deren Segen für das PDS-Abenteuer noch aussteht, sicher gnädig stimmen.
Den Zuspruch für die PDS zu mehren, traut Kelp sich schon zu. Die Erwartung, mit Gregor Gysi wie die Volkstribunen herumzuziehen, stimmt ihn fröhlich. Womit wir beim emotionalen Teil der Motivforschung wären: Kelb der leidenschaftliche, durchaus eitle Prediger, dem nach medialer Resonanz dürstet, das ist die andere Seite eines Mannes, der vorgibt, seinen „Mund den Stummen und Unterprivilegierten“ zu leihen. Kelp selbst spricht „vom Reiz der unbehausten Abenteuerlichkeit“, den das von Gysi unterbreitete Angebot bei ihm ausgelöst habe.
Im Rheinhausener Bürgerkomitee stieß Kelps Drang ins Rampenlicht mitunter übel auf. „Wenn der 800 Leute vor sich hat, flippt der aus“, sagt ein ehemaliger Weggefährte. Mit seiner Dominanz habe er viele „vergräzt“. Theo Steegmann, zweiter Betriebsratsvorsitzender der Krupp-Hütte und der eigentliche strategische Kopf des Rheinhausener Arbeitskampfes, schätzt Kelb und weiß um die beiden Seiten des Pfarrers. Als beharrlicher Begleiter, Antreiber und Inspirator habe Kelp in Rheinhausen Beispielhaftes geleistet, aber „manchmal muß man ihn bremsen“.
Steegmann, nach einem Rausschmiß wegen eines Wahlaufrufes zugunsten der Grünen wieder in der SPD, verbindet mit der Öffnung von Parteien für Nichtmitglieder einige Hoffnungen: „Die uns bevorstehenden gesellschaftlichen und ökonomischen Umbrüche sind so gewaltig, daß man das nicht den Parteien allein überlassen kann“. Von der offenen PDS- Liste erwartet Steegmann sich „Denkanstöße gegen die Verkrustung“ in der etablierten Parteienlandschaft und „deshalb würde ich es begrüßen, wenn die ins Parlament einzöge“.
Kelp glaubt an das Gelingen. „Wenn nicht, dann wird die PDS von der Geschichte überholt. Klappt es aber mit der Liste, sind all die Kräfte, die sich einer radikalen Wende weg von den SED-Positionen verschrieben haben, stark im Vorteil“. Dann stünde einer dauerhaften politischen Beziehungskiste zwischen der PDS und dem Pfarrer nichts mehr im Wege.
Wegen der sozialen Programmatik fühlt sich der gläubige Christenmensch der PDS ohnehin „näher als den C-Parteien“. Wie viele seiner Schäfchen ihm folgen werden, steht dahin. Kelp weiß um die Grenzen seiner und seiner Brüder Werbekraft: „Das Engagement der Kirchenleute bei Krupp hat keineswegs dazu geführt, daß die Kirchen nun überrannt werden.“
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