: Keine Zeit für das Thema des Abends
■ Betr.: „Standbild: ,Die Kon stanze‘“ („live“, Thema: „Schind lers Liste“), taz vom 26.3.94
Mariam Niroumand stellt die meines Erachtens entscheidende Frage hinsichtlich der ZDF- Talkshow nicht: Warum wird diese Runde eingeladen, die sich mit Sicherheit an Reginald Rudorfs antikommunistischen Ressentiments aufreiben wird? Und tatsächlich wird dann auch weite Strecken lang nicht über „Schindlers Liste“, sondern über die Liste Rudorfs diskutiert, der mit neuesten Zahlen vom KGB zum „Roten Holocaust“ aufwarten kann. Und eine dankbare (?) Diskussionsleitung vermag es nicht, von vornherein an das eigentliche Thema zu erinnern, sondern läßt, ganz im Interesse wahrscheinlich großer Teile des Fernsehpublikums, über die Verbrechen der „anderen“ diskutieren. Je länger das währt, desto weniger Zeit bleibt, um auf das Thema des Abends zu kommen.
Da auf Sat.1 („Talk im Turm“) in der letzten Woche eine themengleiche Diskussion lief, läßt sich vermuten, daß die Einlader zu diesen Talkshows ganz bewußt vom Thema ablenken wollen. In Sat.1 war es statt Rudorf d e r Repräsentant der alt-neudeutschen Geschichtsklitterung persönlich, der zu bedenken geben durfte, daß die faschistischen Morde ja eigentlich von den asiatischen Bolschewisten angezettelt worden sind, im Grunde genommen recht undeutsch waren und es ja auch Juden gab, die sich dummerweise kämpfend ihrer Vernichtung entziehen wollten. Ernst Nolte schaffte es jedenfalls spielend, die Talkshow-Runde viele Minuten lang zum Thema „Stalin und die Kulaken“ diskutieren zu lassen.
Meines Erachtens spiegeln ZDF und Sat.1 hier beispielhaft wider, wie die faschistische Vergangenheit in der Alt-BRD immer schon behandelt wurde: Kein Wort vom Zusammenhang Kapitalismus–Faschismus, kein Wort über die ökonomischen, ideologischen und personellen Kontinuitäten von 1933 über 1945 bis heute (Abs ist gerade erst gestorben), kein Wort von der kapitalistischen Profitlogik, die die Vernichtung durch Arbeit industriell ermöglichte, kein Wort von den langen Listen von „Abschüblingen“ in Folter, Hunger und Tod 1994. All das könnte man mit etwas kritischem Willen an „Schindlers Liste“ diskutieren – aber genau das würde „den großen Frieden mit den Tätern“, die ja aktiver sind als je zuvor, nur stören. Wolfgang Dominik, Bochum
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