piwik no script img

Die UNO hält sich in Goražde zurück

Der UN-Sicherheitsrat macht seine eigene Resolution zur Makulatur / Steckt dahinter ein Stillhalteabkommen mit den Regierungen der USA und einiger EU-Staaten?  ■ Aus Genf Andreas Zumach

Angeblich war schlechtes Wetter daran schuld, daß der General Rose gestern in letzter Minute seinen Besuch in Goražde absagte. Der Oberbefehlshaber der Unprofor-Truppen in Bosnien-Herzegowina hatte angekündigt, er wolle sich selbst einen Eindruck von der Situation in der von serbischen Truppen belagerten Stadt verschaffen. Die Lage in der Stadt, in der noch rund 70.000 Muslime leben, hatte in der Nacht zum Mittwoch zu einer scharfen Kontroverse zwischen der Regierung in Sarajevo und dem UNO-Sicherheitsrat geführt. Der bosnische UNO-Botschafter Sacirbey forderte eine Dringlichkeitssitzung des Sicherheitsrates, um dessen „mögliche Manipulationen“ durch seine eigenen Berichterstatter zu überprüfen. Am Dienstag hatte der amtierende Ratspräsident, Neuseelands UNO-Botschafter Keating, erklärt, die jüngsten Kämpfe um Goražde seien „ausgelöst worden durch Patrouillen der bosnischen Streitkräfte“. Diese Version verbreitete gestern auch das militärische Oberkommando der bosnischen Serben. Die Reaktion der serbischen Truppen auf die „Aktionen der bosnischen Regierung“ waren laut Keating „nicht gerechtfertigt“. Es lasse sich aber „unmöglich“ feststellen, ob die Serben die Stadt erobern wollen.

Mit seiner bisherigen Ablehnung aller Maßnahmen zur Verteidigung Goraždes macht der Sicherheitsrat seine eigene Resolution 824 vom 6. Mai 1993 zur Makulatur, mit der er Goražde (neben Sarajevo, Tuzla, Zepa, Bihać und Srebenica) zur „UNO-Schutzzone“ erklärt hatte. Die genannten Städte „inklusive ihrer Umgebung“ sollten „von feindlichen Akten jeglicher Art verschont werden“, heißt es in der Resolution. „Alle militärischen oder paramilitärischen Verbände der bosnischen Serben“ sollten „so weit von diesen Städten zurückziehen, daß von ihnen keine Bedrohung mehr ausgeht“. In der Resolution wurden „alle Kriegsparteien“ aufgefordert, den Unprofor-Soldaten sowie internationalen Hilfsorganisationen ungehinderten Zugang zu den Schutzzonen zu gewähren. Der Sicherheitsrat erklärte damals seine Bereitschaft, sofort zusätzliche Maßnahmen zur Umsetzung dieser Resolution zu beschließen, falls eine der Kriegsparteien sich nicht an die Resolution halte.

Die Bereitschaft dazu ist bislang nicht erkennbar. Nicht nur in Kreisen bosnischer Diplomaten wird der Verdacht geäußert, das Stillhalten des Sicherheitsrats sei Ergebnis einer Absprache zwischen den Regierungen der USA, Rußlands, Frankreichs, Großbritanniens sowie möglicherweise Deutschlands und weiterer EU- Staaten. Danach sei als nächster Schritt nach der inzwischen erfolgten Gründung der muslimisch- kroatischen Föderation die Zweiteilung Bosnien-Herzegowinas zwischen dieser Föderation und einem serbischen Gebiet entlang einer eindeutigen, auch international leicht zu überwachenden West- Ost-Grenze vorgesehen. Zur muslimisch-kroatischen Föderation gehörende Enklaven in dem serbischen Gebiet (wie Goražde, Zepa und Srebenica) seien dabei ein Stör- und dauernder Unruhefaktor. Ein solcher Plan würde darauf hinauslaufen, daß Goražde, Zepa und Srebenica nicht einmal durch Landkorridore mit dem muslimischen Hauptgebiet um Sarajevo und Tuzla verbunden wären. Es ist damit zu rechnen, daß ein Großteil der über 150.000 Muslime, die noch in den drei Enklaven leben, diese verlassen würde. Teil der Absprache – so wird in Genf spekuliert – könnte sein, daß Rußland die Führung der bosnischen Serben zum völligen Verzicht auf Sarajevo bewegt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen