piwik no script img

Wenn Kalbsmedaillons sensibel wären

Kunst und Kulinarisches im intimen Verbund, inclusive „La Traviata“. Es war für Sie im Dinner-Theater:  ■ Michaela Ott

Ich hab' von Kopf bis Fuß die Liebe eingestellt: Mit diesem liedgutinternen Paradigmenwechsel, diesem illusionskritischen Abgesang auf gemeindeutsche Chansonverbindlichkeiten beendet Tina Teubner ihr „La Traviata“- Programm. Was sich im Begleitheft als vermeintlicher Tippfehler der bekannten Verdi-Schmonzette um die dahinsiechende Edeldirne ankündigt, erweist sich nicht nur buchstäblich als Umwertungsidee: Die in Frankreich um 1700 angesiedelte Geschichte der durch den Vater verhinderten Liebe zwischen Violetta und Alfred wird in die gesamtdeutsche Heutzeit gerettet und dabei von feudaler Herzenshöhe unter die postmoderne Gürtellinie gezogen. Was meint, daß weder Liebe noch Tod in Reinform die Bühne betreten, sondern käufliche und andere Haß- Liebes-Verhältnisse aller Art.

Das fängt schon bei dem Theater an, in dem das alles stattfindet. Das Dinner-Theater versteht sich als Lokalität gehobener Gemütlichkeit. Der Zutritt kostet 80 Mark, in diesem Fall ebensoviel, wie die Rezension des Abends einbringt. Für diesen Obolus gibt es ein Dinner plus Theater.

Zu letzterem unterhält Tina Teubner, die junge – ja, Herr Direktor –, blonde – nein, Herr Direktor –, freche – ja, Herr Direktor –, sanfte – nein, Herr Direktor – Chansoneuse mit dem Charme einer blutleckenden Raubkatze, eine äußerst ambivalente Beziehung. Nach ihrem Eingangskniefall erklärt sie es opernmäßig gleich für tot und läßt es in der Folge über ihre Chansons desto frischer wieder auferstehen, in einer geglückten Synthese zwischen E- und U- Musik, in trotziger und verspielter, mit ihrem Pianisten Michael entwickelter Klangtraditionsmodulation.

Tina Teubner, 28 Jahre jung, ist in der Tat ein mit allen mimetischen Talenten des ernsten wie heiteren Fachs gut ausgestattetes Froilein, die ebensogut westfälisch wie berlinerisch wie wienerisch wie pusztamäßig parlieren und chansonieren kann; solchermaßen läßt sie die guten alten umgestrickten Balladen um sexuelle Hörigkeit, glühende Glühwürmchen, den Hund Surabaya Johnny und viele andere Revue passieren. Und dreht das Melodram des italienischen Opernfürsten in eine Berliner Hinterhofromanze um, gemäß der Weise: Ick laß mir nich det Fett aus de Oberschenkel kratzen für Emils unanständje Lust...

Damit tritt sie allerdings beinahe den Rinderfilets und Kalbsmedaillons zu nahe, die es im Dinner-Theater hübsch medium zwischen Gemüse und Liedgut gibt. Auf engstem Raum werden solchermaßen Augen-, Ohren- und Gaumengenüsse vereinigt. Oder zumindest, wie es die Chansoneuse zu Beginn der zweiten Aktes ankündigt: Es wird keiner gehen, da könne sie tun, was sie wolle, denn die Rote Grütze lasse sich keiner entgehen.

Die ist denn auch in der Tat ein gut gelungener Abschluß des dramaturgischen Bogens, der mit Lachs und kandierter Kirsche vor Akt eins begann. Und sollte der Liedfluß einmal ins Stocken geraten, steht allzeit der Becher mit Rotwein bereit... Nichtsdestotrotz drückt die schwere Luft dank der dicht gefalteten Samtvorhänge irgendwann auf die Kehle. Man wünscht sich mehr Durchzug, mehr Außen im Raum. Hat man dazu den Vorzug, in der ersten Reihe plaziert zu sein, sitzt einem die Chansoneuse gelegentlich fast auf dem Schoß. Dabei sitzt man selbst bereits auf dem des Nebenzuschauers, denn das Dinner- Theater will es äußerst intim. Und obwohl man solchermaßen keine Schwierigkeiten hat, den Eheballaden der Hamburger Touristinnen wie dem roten Lippenstift der Künstlerin als Ersatz für dürftige Handlungsfäden zu folgen, drängt es einen irgendwann doch in die noch trivialere Nachtluft hinaus.

Dinner plus „La Traviata“ mit Tina Teubner gibt es bis zum 10.4. sowie 21.–24.4., 27.–30.4. und weiter im Mai, 20 Uhr (10. + 24.4.: 18 Uhr), im Dinner-Theater, Viktoria-Luise-Platz 12, Schöneberg.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen