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■ SpätleseSterben

„Philosophieren heißt sterben lernen“, heißt es bei Montaigne. Doch der Renaissance-Franzose hatte nicht die stoische Abtötung der Sinne im Auge, nicht die Ausbleichung aller Farben, nicht die melancholische Reduktion des Selbst, sondern einen souveränen Abschied, der alles zuläßt: Zorn über den Tod, Trauer und Wehmut, aber auch die Lebensfreude der Vergänglichkeit und das gesteigerte Bewußtsein der Sterblichen für alle ihre Möglichkeiten. So wie jeder Absolutismus steril, feindselig und unwirklich ist, so wäre es auch der Versuch, den Tod zum Ziel des Lebens zu erheben, das durch sein Ende entwertet wird: Es gilt, bis zum Schluß lebendig zu bleiben.

Da all dies leichter geschrieben als getan ist, sind Weisheiten dieser Art notwendig peinlich, wenn sie nicht die Würde des Erlebten haben. Montaigne, von kriegerischen Wirren umgeben, von Nierensteinen und allerlei anderem Übel geplagt, wußte, wovon er sprach. Wie überhaupt die nicht eben umfangreiche Literatur über das Sterben gemeinhin Expertenliteratur ist – für Expertenleser.

„Weinen kannst du, wenn ich tot bin“ heißen die Aufzeichnungen einer Bildenden Künstlerin aus Düsseldorf, die einen guten Freund bis zu dessen Aidstod „begleitete“, wie es so begütigend lautet: Sie besuchte ihn nahezu täglich im Krankenhaus, sie hielt seine Hand, wenn er nicht sprechen konnte, und schließlich stand sie fassungslos vor seinem toten Körper. Obwohl sie von Beginn an ahnte, worauf sie sich einließ, verfiel sie doch nicht der Versuchung, diese freiwillige Erfahrung als reinen Altruismus zu verklären: Das „Leben in der Nähe des Todes“ zu beobachten, war ihr ausdrücklicher Wille, in dem Freundschaft (im „genau richtigen Abstand zueinander“), Mitgefühl und Erkenntnisinteresse sich begegneten. Die Schwankungen, denen der Sterbende und sie bei diesem Prozeß unterworfen sind, bildet Elisabeth Brockmann genau und mit großer, manchmal erzwungen wirkender Ruhe ab. Aber ihre Genauigkeit ist eben so groß, daß auch in diesem schmalen Buch, das vom Sterben handelt, Platz für ein Ausrufungszeichen ist: „Zwischendurch, nach einem Übelkeitsanfall, will er aufrecht im Bett sitzen, und ich versuche ihn zu halten. Drei, vielleicht vier Minuten geht das. Dann geht mir die Kraft aus, er spürt es, beschwert sich, fordert mich auf, mich hinter ihm aufs Bett zu setzen. So sitzen wir schließlich aneinandergelehnt da, Rücken an Rücken, einer des andern Gewicht auffangend und sich selbst damit Halt verschaffend. So könnte es bleiben!“

Elisabeth Brockmann: „Weinen kannst du, wenn ich tot bin.“ Bollmann Verlag, Düsseldorf, 144 Seiten, Broschur, 24,80 DM.

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