Zange an den Schädel. Zucken. Hirntod.

Von Schweinen mit blauen und rosa Ohren: Die Pest raubt Niedersachsens Massentierhaltern die Existenzgrundlage / Der Feind sitzt in Brüssel und ist nicht zu fassen  ■ Von Anja Sprogies

Glandorfs in Handorf haben noch Schweine. Völkerdings in Holdorf nicht mehr. Und Perners in Fladderlohausen verloren ihre Vierbeiner vor zwei Wochen unter der Starkstromzange. Die Pest geht um bei Deutschlands größten Würstchen- und Kotelettproduzenten: den Bauern in Niedersachsen. Und mit der Pest kommen die Killertrupps des Veterinäramtes.

750.000 meist gesunde Schweine mußten früher sterben als von den Produzenten geplant. Ihr Fleisch darf aber nicht in Mutters Pfanne braten. Die Europäische Union (EU) will es so. Und die Bauern sind sauer.

Werner Völkerding hat gerade zu Mittag gegessen, als das Telefon klingelt. „Morgen wirste kaltgemacht“, sagt die Stimme an der anderen Seite der Leitung. Der Mann vom Veterinäramt in Vechta scheint seine Rolle als Scharfrichter zu genießen. Abgesehen hat er es auf 1.800 gesunde, noch in Boxen gepferchte Sauen und Ferkel.

Nur wenige hundert Meter von Völkerdings Hof entfernt war die Schweinepest ausgebrochen. Blaue Ohren, Fieber und Durchfall bekamen die Tiere dort. Der gesamte Stall wurde „gekeult“ (getötet). Und im Sinne der vorgeschriebenen EG-Hygiene der Bestand auf den umliegenden Höfen, darunter auch bei Völkerdings, gleich mit. Zu groß sei die Ansteckungsgefahr, meinen die von der EU.

Am Morgen nach dem Telefonat bringen Laster Container nach Holdorf. Bauer Völkerding muß mit seinem Vater zwischen den Ställen Barrieren aufstellen. Am Nachmittag treffen dann die Schlachter ein. Acht Leute mit Zange.

Völkerding schickt seine Kinder weg. „Die können nicht verstehen, warum die Schweine getötet werden“, meint der Bauer. Zumindest will er wohl nicht, daß die Kinder das sehen, was sonst ohnehin mit den Tieren geschieht, der Massentod.

Die Schlachter vom Amt stecken die Kabel ihrer Stromzangen in die Dose, die ersten Schweine werden in die Absperrung zwischen den Ställen getrieben. Die Arbeit kann beginnen: Die Zange an den Schädel. Ein kurzes Zucken. Hirntod. Die Zange an die Brust. Herztod. Kein Brüllen, kein Wimmern, es geht schnell. Jeder Handgriff sitzt. Die nächste Fuhre wird hineingetrieben. Und noch eine. Mit Stöcken werden die lebenden auf die bereits toten Tiere getrieben. Die Schlachter stehen am Ende auf einem Hügel gekeulter Schweine.

Bis zum späten Abend geht das. Bis alle tot sind. Völkerding ist fertig. Ein paar Nächte kann er nicht mehr schlafen. „Den ganzen Tag habe ich nichts gegessen.“ Zwei Tage braucht der Bauer, um das Blut und den Kot aus den Ställen zu beseitigen.

Noch immer kann Völkerding nicht verstehen, warum seine gesunden Tiere geschlachtet wurden. Und vor allem: Warum durften die Schweine nicht gegen die Krankheit geimpft werden?

„Brüssel“ – gemeint ist der ständige Veterinärausschuß der Kommission der EU – ist in Südoldenburg, der Region mit der höchsten Schweinedichte der Welt, der Buhmann Nummer eins. Denn „Brüssel“ sieht im „Keulen“ den heiligen Weg im Kampf gegen die Pest.

Bricht die Pest in einem Betrieb aus, müssen im „Sperrbezirk“, nach den EU-Vorschriften also im Umkreis von drei Kilometern, alle Tiere direkt auf dem Hof gekeult werden. Im „Beobachtungsgebiet“ (Umkreis zehn Kilometer) müssen die Tierärzte alle Schweine ständig medizinisch kontrollieren. Der Virus ist leicht übertragbar, die Verschleppungsgefahr groß. Schlachtreife Schweine, die sich im Umkreis von 20 Kilometern vom Pestherd befinden, dürfen nur zu Kosmetikgrundstoffen und Tierfutter verarbeitet werden.

Doch so genau nimmt man es nicht mit den Vorschriften bei den Massentierhaltern. Erst kürzlich tauchten ein paar tausend niedersächsische Schweine in Schlachthöfen außerhalb des Landes auf. Sofort verhängte die Europäische Kommission eine vollständige Handelssperre für das ganze Land. Am 20. April soll diese Entscheidung überprüft werden.

Zwischen Vechta und Cloppenburg fährt seitdem die Polizei nachts auf einsamen Straßen Patrouille und hält Bauern an. Sie könnten ja im Kofferraum ihrer Mercedes Ferkel herausschmuggeln.

Der Landesregierung in Hannover und der Europäischen Union fehlt das nötige Geld, um die Bauern zu entschädigen. Gemeinsam müssen sie für die gekeulten Schweine aufkommen. Die Kassen sind leer. Die Bundesregierung weigert sich noch immer, dem SPD-regierten Niedersachsen unter die Arme zu greifen. Ein wenig Parteipolitik spielt auch mit.

Im stockschwarzen Südoldenburg haben mittlerweile schon viele ihr CDU-Parteibuch abgegeben. Alle erinnern sich an Helmut Kohls Versprechen in Vechta, er werde die Impfung in Europa durchsetzen. Benno Perner, der Sprecher der Bauern: „Ich habe damals sogar geklatscht. Alle haben geklatscht.“ Um so tiefer sitzt die Enttäuschung heute. Perner warnt vor Kurzschlußreaktionen der Bauern, die in den vergangenen Jahren durch Massentierhaltung viel Geld verdient haben und plötzlich auf dem trockenen sitzen. „Ich garantiere für nichts, wenn es so weitergeht“, droht Perner.

1988 hatte die Bundesregierung zugestimmt, die Seuche durch Keulung auszurotten und nicht durch Impfung zu bekämpfen. Der Tierarzt Georg Bruns aus Steinfeld, dessen Praxis unmittelbar von der Schweinepest betroffen ist, sieht den damaligen Weg heute kritischer: „Diese Entscheidung ist recht kurzsichtig getroffen worden, wie wir es heute am eigenen Leibe zu spüren bekommen.“ Sein Umsatz ist um 80 Prozent zurückgegangen.

Als in Belgien 1990 die Schweinepest ausbrach, „lachten wir uns doch ins Fäustchen“, gibt Benno Perner zu. Der Schweinepreis ging damals hoch, und die niedersächsischen Bauern hatten einen größeren Absatzmarkt.

„Leider haben wir es damals versäumt, den belgischen Landwirten Rückendeckung zu geben“, meint Bruns heute. Hätten sich damals die Bauern länderübergreifend für eine Impfung eingesetzt, stünden die Landwirte in der Weser-Ems-Region heute besser da. Bruns rechnet damit, daß vor allem die Klein- und mittelständischen Bauern die Seuche wirtschaftlich nicht überleben werden.

Seit drei Wochen ist Bauer Völkerding nun damit beschäftigt, seinen Stall zu reinigen. „Erst mit Hochdruckreinigung, dann mit der Zahnbürste“, klagt Völkerding. Die Vorschriften des Veterinäramtes sind streng. Jede noch so kleine Ritze muß neu verfugt werden. Trotzdem ist noch völlig unklar, wann Völkerding die nächsten Schweine „einstallen“ darf. „Die vom Amt haben gesagt, in diesem Jahr verkaufste keine Sau mehr“, zitiert Völkerding. Wie er bis dahin seine Kinder, Eltern und die Frau ernähren soll, weiß er nicht. Zwar hat er achtzig Prozent des Verkaufswertes seiner Schweine erhalten. Trotzdem werden ihm „geschätzte einhunderttausend Mark“ bis zum nächsten Durchlauf durch die Lappen gehen. Das könnte die Existenz kosten.

Im Nachbardorf Handorf füttert Bernhard Glandorf noch jeden Morgen unverdrossen seine knapp 1.200 rosa Vierbeiner. Wohl nicht mehr lange, wie die Familie meint.

Der Bauer markiert auf einer Landkarte alle „schweinefreien Zonen“ mit einem gelben Stift. Fast jeden Tag werden es mehr. Handorf ist noch ein kleiner weißer, ungekeulter Fleck am Rande von gelben Strichen. Ein kleines gallisches Dorf der noch lebenden Tiere.

Gelb ist zum Beispiel die Stadt Damme, die nur vier Kilometer von Glandorfs Hof entfernt liegt. Oder Neuhausen, nur drei Kilometer weit weg. „Wir sind Beobachtungsgebiet“, meint der Bauer, dessen Schweine noch rosa Ohren haben, nicht blaue.

Mehrfach ist das Blut von Glandorfs Tieren untersucht worden. Alles in Ordnung. Keines hat die Pest. Trotzdem darf er sie nicht verkaufen.

Mittlerweile meint Glandorf sogar, daß die Bauern, deren Schweine bereits gekeult wurden, besser dran seien als er. „Täglich kommen mehr Ferkel, und keine Sau geht weg“, klagt der Schweinewirt.

Problematisch beim Zuwachs der Population sind nicht die hohen Futterkosten. Sorgen macht sich Bernhard Glandorf vielmehr um die EU-Richtlinien, nach denen ein Bauer, der weniger als 1.250 Schweine besitzt, nach der Keulung einhundert Prozent des Verkaufswertes erhält. Mit jedem weiteren Schwein werden nur achtzig Prozent gezahlt. Und diese Grenze rückt für Glandorf bedrohlich nahe.

Glandorf glaubt nicht mehr daran, daß seine Schweine jemals in die Bratpfanne kommen. Allenfalls hofft er darauf, daß sie nach der EU-Entscheidung am 20. April wieder zu Tiermehl verarbeitet werden dürfen. Am liebsten würde der Bauer seine Schweine gegen die Pest impfen lassen. Selbst bezahlen möchte er die Impfung sogar, wenn er nur dürfte. „Mit den offenen Grenzen nach Osteuropa müssen wir uns schützen, sonst gibt es bald kein Schweine mehr in diesem Land“, meint er.

In der Tat findet der Pesterreger im wiedervereinigten Deutschland einen guten Nährboden. Eng zusammenliegende Masthallen und viel Transitverkehr begünstigen die rasche Verbreitung. Eine Pestepidemie läßt sich so kaum verhindern. Diesmal war die Ursache der Seuche allerdings ökologisch: Wildschweine hatten in Zipplingen im Land Baden-Württemberg frei gehaltene Hausschweine angesteckt, die im Oktober letzten Jahres nach Niedersachsen gelangten. In einen Hof bei Damme. Am 29. Oktober wurden dort alle Tiere gekeult.

Entsprechend der langen Inkubationszeit – über vier Wochen können nach der Ansteckung vergehen – kamen die nächsten Krankheitsausbrüche erst Anfang Dezember letzten Jahres. Die blauen Ohren, das bekannte Husten hatten die Nachbargehöfte erreicht.

Wie der Virus sich überträgt, ist noch unklar. Manche Experten glauben, daß vor allem Katzen, Hunde und Nagetiere die Pest von einem Stall in den anderen bringen. Es kann aber auch der Bauer selbst sein, der mit seinen Stiefeln die Krankheit herumschleppt. Manche Fachleute befürchten sogar, daß der Keim sich schlicht über die Luft verbreitet. Einig sind sich die Experten aber darin: Die Seuche ist für den Menschen nicht gefährlich. Insbesondere kleinere Betriebe unterliegen einem hohen Risiko. Sie leisten sich zum Beispiel keinen eigenen Transporter zum Schlachter. Sie bilden Fahrgemeinschaften mit anderen Kleinbauern. So fährt ein Laster von Hof zu Hof und sammelt die schlachtfertigen Tiere ein. Infizierte Schweine können dann gesunde auf einem anderen Hof anstecken.

Bauer Glandorf glaubt, daß seine Tiere bisher von der Pest verschont blieben, weil solche Transporter nicht seinen Hof passieren. In Zukunft will er seine Schweine aber noch besser abschotten. Noch sauberer soll sein Stall werden. Denn von der Schweinepest haben die niedersächsischen Bauern unisono gelernt: Kontakte mit der Natur sind für ihre Schweine höchst gefährlich.