: Heftige Kritik an Schönhuber-Freibrief
Hans-Jochen Vogel zeigt sich über die Gerichtsentscheidung, Schönhuber nicht anzuklagen, „erstaunt“ / Ralph Giordano sieht die Einstellung in der Tradition der deutschen Justiz ■ Von Anita Kugler
Berlin (taz) – Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Landshut, den Rep-Vorsitzenden Franz Schönhuber nicht wegen Volksverhetzung anzuklagen, irritiert Politiker und Juristen. Der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel sagte zur taz: „Ich bin über diese Entscheidung erstaunt“. Schließlich hätten Schönhubers Angriffe gegen Ignatz Bubis und Michel Friedman sich nicht gegen private Einzelpersonen gerichtet, sondern gegen gewählte Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft. „Ohne diese Bezüge, nämlich daß Ignatz Bubis Vorsitzender des Zentralrats der Juden und Michel Friedman Repräsentant im Zentralrat ist, hätten Schönhubers Angriffe keinen Sinn gemacht“, sagte Vogel. „Ich verstehe deshalb nicht, warum die Staatsanwaltschaft Landshut die Angriffe als persönliche Beleidigungen wertet.“ Schließlich habe Schönhuber mit seinen Vorwürfen, daß Bubis und Friedman „für den Antisemitismus in Deutschland sorgen“, die „Tatsachen auf den Kopf gestellt“.
Ähnlich argumentiert auch der Berliner Rechtsanwalt und Grünen-Politiker Christian Stroebele. Die Staatsanwaltschaft habe den Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches, in dem seit dem Jahre 1960 die „Volksverhetzung“ unter Strafe steht, „zugunsten des Volksverhetzers ausgelegt“, sagte er. Im Paragraphen stehe eindeutig, daß Angriffe auf die Menschenwürde anderer bestraft werden, die geeignet sind, „den öffentlichen Frieden zu stören“. Schönhubers Behauptungen, daß die beiden Repräsentanten der jüdischen Gemeinschaft den Antisemitismus schürten, seien solche Angriffe, die die Staatsanwaltschaft als Angriffe auf die Menschenwürde hätte werten können. Auch der Berliner Oberstaatsanwalt Carlo Weber wies gestern darauf hin, daß Hetzreden gegen einzelne Personen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen können, wenn damit klar sei, daß damit zugleich große Teile der Bevölkerung gemeint sind.
Scharf reagierte der Bundesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen. In einer Erklärung des Sprechers Volmer heißt es „Auch die Landshuter Juristen sind furchtbare Juristen, denn sie stufen die Beleidigung und Diskriminierung von Juden in Deutschland fünfzig Jahre nach dem Holocaust als Kavaliersdelikt ein.“ Schönhubers Sätze hätten sich nicht gegen Privatpersonen, sondern gegen die Juden in Deutschland gerichtet und stünden damit „in der Tradition Goebbelsscher Propagandareden“.
Ähnlich sieht das auch der Schriftsteller Ralph Giordano. Die Justiz habe immer noch nicht begriffen, welche Rolle die Juristen bei der Unterstützung des Nationalsozialismus und welche sie später bei der Verharmlosung des Nationalsozialimus gespielt hätten und haben. „Leider überrascht mich deshalb die Entscheidung nicht“, sagte er, „wieder einmal wird das Recht täterbegünstigend ausgelegt.“
Das Bundesjustizministerium wollte sich gestern zu der Entscheidung der Landshuter Staatsanwaltschaft nicht äußern. Ein Sprecher erklärte nur, daß die Lehre aus der Entscheidung lauten müsse, daß der Rechtsradikalismus und der Antisemitismus „stärker als bisher gesellschaftlich bekämpft werden müssen“. Ignatz Bubis, so das Ministerium, verdiene Respekt, weil er auf eine Anzeige gegen Schönhuber verzichtet habe.
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