Fahrkarte in den autoritären Staat bestellt

■ Beim geplanten Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 ist ein großzügiger Abbau des liberalen Rechtsstaats geplant – auch wenn der Große Lauschangriff ausbleibt

Sie erinnern sich? Rasterfahndung, verdeckte Ermittler, Geldwäschegesetz, das Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes, das schreckliche Kürzel „OrgKG“? All das sind Mittel, die Polizei und Staatsanwälte angeblich brauchen, um die „Waffengleichheit“ (das Wort stammt vom Chef des Bundeskriminalamtes, Hans-Ludwig Zachert) gegenüber den Verbrechern wieder herzustellen. Wer nun glaubt, daß dies die Forderungen sind, die die Bonner Regierung in ihrem Paket „Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994“ verschnürt hat, der irrt leider. Die genannten Mittel sind allesamt vom Gesetzgeber bereits verabschiedet, und zwar in den letzten beiden Jahren.

Jetzt wird weiterdiskutiert: Zum Beispiel der sogenannte „Große Lauschangriff“, die Überwachung auch privaten Wohnraums mit technischem Gerät wie Wanzen und Kameras im Rahmen der Strafverfolgung. Doch der Große Lauschangriff ist im Regierungsentwurf für das „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ gar nicht vorgesehen. Die Unverletzlichkeit der Wohnung, in Artikel 13 des Grundgesetzes festgeschrieben, ist eines der wenigen liberalen Prinzipien, die die FDP ihren Koalitionspartnern CDU und CSU bislang nicht zu opfern bereit war.

Den Bonner Regierungsentwurf macht die Auslassung des Großen Lauschangriffs aber keineswegs besser, liberale Rechtsstaatsprinzipien bleiben auch so auf der Strecke.

Der schlichte Gedanke der Repression

Es ist der schlichte Gedanke der Repression, der das vorgelegte Gesetzeswerk durchzieht – der Glaube, daß höhere Strafen und eine Ausweitung der Ermittlungsmöglichkeiten alleine die angeblich explodierende Kriminalität eindämmen könnten. Zaghafte Reformprojekte, die von Strafrechtlern und Justizexperten seit langem gefordert werden, sind hingegen im Verbrechensbekämpfungsgesetz entweder gar nicht vertreten oder so eingebunden, daß sich ihre Wirkung ins Gegenteil verkehrt. Zum Beispiel der sogenannte Täter-Opfer-Ausgleich: Ursprünglich war daran gedacht, im Bereich der Bagatelldelikte (etwa bei Ladendiebstahl) auf eine strafrechtliche Ahndung dann zu verzichten, wenn der Täter eine freiwillige Wiedergutmachung leistet. Das Verfahren sollte nicht nur die Gerichte entlasten, es sollte auch als pädagogische Maßnahme auf den Straftäter einwirken. Im jetzt vorgelegten Regierungsentwurf wird allerdings zuerst bestraft, im zweiten Schritt muß der Verurteilte dann Wiedergutmachung leisten.

Erarbeitet haben im Verbrechensbekämpfungsgesetz zusammengefaßte Maßnahmenbündel die Rechts- und Innenpolitiker der Regierungsfraktion. Im September 1993 hatte Bundesinnenminister Kanther ein „Sicherheitspaket 94“ vorgelegt, Ende Februar ging das Bündel als Fraktionsentwurf in den Bundestag. Eckpunkte der geplanten Neuregelungen, die am Montag Gegenstand einer Expertenanhörung im Rechtsausschuß sein werden, sind:

– die bisher nur für den Bereich des Terrorismus befristet zulässige Kronzeugenregelung soll künftig auch im Feld der Organisierten Kriminalität angewendet werden dürfen;

– den Verfassungsschutzbehörden wird erlaubt, „Mitglieder von Vereinigungen im Vorfeld strafbarer Handlungen wirkungsvoll überwachen zu können“;

– das Gesetz über die Einschränkung des Fernmelde-, Post- und Briefgeheimnisses darf auch für „internationale und in Deutschland agierende Verbrecherorganisationen“ angewendet werden;

– der Straftatbestand der „Volksverhetzung“ wird ausgeweitet;

– Straftäter werden künftig nicht nur bestraft, sie müssen alles in ihrer Macht Stehende tun, den angerichteten Schaden wiedergutzumachen;

– ausländische Straftäter, die wegen Drogenhandels zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt worden sind, werden ausgewiesen;

– für Körperverletzung soll die Höchststrafe deutlich heraufgesetzt werden;

– ein zentrales staatsanwaltschaftliches Verfahrensregister soll die Strafverfolgung „reisender Serientäter“ verbessern;

– der Haftgrund „Wiederholungsgefahr“ wird ausgeweitet;

– die Verwendung „nazi-ähnlicher“ Symbole wird unter Strafe gestellt.

Lauscher und V-Leute für den Bundesgrenzschutz

Darüber hinaus ist in Zusammenhang mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz vorgesehen, die gesetzlichen Grundlagen für das Bundeskriminalamt (BKA), den Bundesgrenzschutz (BGS) und den Bundesnachrichtendienst (BND) zu modifizieren. Unter dem Strich werden damit auch die Befugnisse dieser Behörden ausgeweitet. Der BGS soll beispielsweise (wie bislang schon ohne eigene Rechtsgrundlage praktiziert) für die Verfassungsschützer aus Bund und Ländern im Radioäther lauschen dürfen. Er darf dann auch eigene V-Leute einsetzen. Den Pullacher Geheimdienstlern wird den Plänen zufolge gestattet, Gespräche aus und in die Bundesrepublik zu erfassen und auszuwerten, der Nachrichtendienst darf darüber hinaus seine Erkenntnisse auch den Strafverfolgern zur Verfügung stellen.

Auf die Praktikabilität der neuen Vorschriften ist es den Autoren des Entwurfes offensichtlich nicht angekommen. Ausufernd dürfte etwa die Vorschrift werden, nach der „nazi-ähnliche“ Symbole unter Strafe gestellt werden. Die Vorschrift kann nicht nur zu einem publicity-trächtigen Experten-Gerangel vor den Gerichtsschranken führen.

Zu befürchten ist auch, daß die eindeutige Verwendung von nazi(-ähnlichen) Symbolen im Kontext einer kritischen oder karikierenden Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus unter die Vorschrift fallen kann. So hat die Hamburger Polizei schon mal den britischen Bestseller „Fatherland“ (der ein Europa schildert, in dem Hitler den Krieg gewonnen hat) beschlagnahmt, weil auf dem Umschlag der Originalausgabe Hakenkreuz und Reichsadler verwendet wurden.

Ähnliches ist auch bei der Neufassung des Straftatbestandes der „Volksverhetzung“ zu befürchten. Geht die Regelung durch, kann auch die Aussage „Alle Soldaten sind Mörder“ als Volksverhetzung verfolgt werden.

Fazit: Die Politik im Bereich der Inneren Sicherheit – sie reduziert sich im „Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994“ auf eine repressive Verarbeitungsmaschinerie für ungelöste Probleme in anderen Politikfeldern. Wolfgang Gast