Hannigan, der Schrecken aller Schlaglöcher Von Ralf Sotscheck

Radarfallen sind in Irland zwar unbekannt, aber das Überschreiten der Höchstgeschwindigkeit könnte dennoch fatale Folgen haben: Irlands Landstraßen sind mit verblüffenden Variationen von Schlaglöchern gesegnet. Die – überaus seltene – Reparatur der Straßen verlagert das Problem lediglich: Statt der Schlaglöcher gibt es dann kleine Hügel, die der Lebenserwartung von Reifen und Stoßdämpfern genauso abträglich sind. Trifft man wider Erwarten auf Landstriche mit einwandfreiem Straßenbelag, so hat die irische Präsidentin Mary Robinson der Gegend vermutlich kurz zuvor einen Besuch abgestattet. Bevor sie Anfang 1992 in ihre Heimatgrafschaft Mayo reiste, waren Hunderte von Hilfskräften eine Woche lang fieberhaft damit beschäftigt, sämtliche Schlaglöcher zu füllen – eine Maßnahme, die die Anwohner jahrelang vergeblich gefordert hatten. Seitdem hofft man auch in anderen Grafschaften auf den hohen Besuch.

Nach Cavan an der nordirischen Grenze ist sie bisher noch nicht gekommen. LKW-Fahrer sind sich einig, daß Cavan die schlechtesten Straßen der Welt habe. Einer hat dort vor kurzem die Hinterachse seines Anhängers verloren, wie er glaubhaft versicherte.

Eine Schulklasse hat jetzt im Rahmen eines Unterrichtsprojekts die Größe der Schlaglöcher gemessen, die in Irland im allgemeinen als Gradmesser für Rückständigkeit gilt. Cavan liegt mit Löchern von durchschnittlich zwei Metern Durchmesser und bis zu siebzig Zentimetern Tiefe landesweit an der Spitze. „Vielleicht könnte man die Löcher ja zur Lachszucht benutzen, um die Arbeitslosigkeit zu lindern“, schlug eins der Schulmädchen mit einem Sarkasmus vor, der ihre Unschuldsmiene Lügen strafte.

Der 43jährige Stahlpolierer Martin Hannigan hat jedoch den Kampf aufgenommen: Nacht für Nacht streift er sich sein T-Shirt über, auf das mit großen Buchstaben sein Pseudonym gedruckt ist: „Schrecken aller Schlaglöcher“. Dann packt er sein Schweißgerät sowie ein paar Töpfe Farbe ein und macht sich auf die Suche nach den größten Schlaglöchern Cavans. Mit der Flamme des Schweißgeräts trocknet er den Rand der Löcher und kreist es dann mit greller Leuchtfarbe ein oder verziert es mit Pfeilen, Kreuzen oder Rautenmustern. Die Grafschaftsverwaltung findet das nicht amüsant. Er bringe Schande über die ganze Grafschaft, sagte der Ratsvorsitzende. Das war leichtfertig: Hannigan fand heraus, wo der Vorsitzende wohnt, fluoreszierte die Schlaglöcher in der Umgebung und schrieb neben jedes einzelne das Wort „Schande“. Die neue grellgelbe Markierungsfarbe, ein Import aus Kanada, sieht „verdammt gut auf irischen Straßen aus“, findet der Schlagloch-Schrecken. Die Polizei hat ihn bereits mehrmals „im aktiven Einsatz“ erwischt, ihn jedoch nie behelligt. „Sie wissen, daß ich in den Hungerstreik trete, wenn sie mich einlochen“, sagt er. „Ich bin fast bereit, für die Straßen von Cavan zu sterben.“ Oft bringen ihm die Anwohner nachts Tee und belegte Brote, erzählt er stolz. Früher wimmelte es nämlich in der Gegend von Anglern aus Großbritannien, doch inzwischen ist diese Einnahmequelle versiegt, weil sich die Touristen ihre Autos nicht ruinieren wollen, sagt Hannigan. Vielleicht sollte man ernsthaft in Erwägung ziehen, ein paar Lachse in die Schlaglöcher zu setzen.