■ Press-Schlag: Giftige grüne Spiele?
Die Badegäste von Bondi Beach, dem bekanntesten Badestrand von Sydney, reagierten verdutzt, als sie dort Fotos und anderer „Erinnerungsstücke“ vom Kampf der Berliner gegen die Austragung der Olympischen Spiele in ihrer Stadt gewahr wurden. „Wir haben doch die Spiele gewonnen, oder?“ wandte man sich, um Aufklärung bemüht, an die Veranstalter Tim Richter und Ingo Tscharnke, ein aktives Mitglied des Anti-Olympia-Komitees. Die Ausstellung, eine Kollektion von T-Shirts, Postern, Fotos und anderen historischen Dokumenten, war in der Phase des Gerangels um die Austragung der Spiele vom Berliner Anti- Olympia-Komitee zusammengestellt worden und hat seither im Berliner Martin-Gropius- Bau einen festen Standort. Mit Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen und der PDS war sie nach Australien gereist.
Tim Richter, ursprünglich aus Sydney und jetzt Wahlberliner, zur Vorgeschichte: „Vor dem 23. September tauchten überall in Berlin die ,Sydney 2000‘-Graffiti auf, und wann immer es ging, habe ich dazugeschrieben: ,Euer Problem ist unser Problem.‘“ Bald wurde ihm klar, daß die Dinge in seiner australischen Heimat völlig anders lagen. Es gab so gut wie keine Opposition zur Austragung der Spiele in Sydney, weder im linken Lager noch bei den Ureinwohnern. Dieser Mangel an kritischer öffentlicher Diskussion war für die beiden Berliner Anlaß, die Berliner Dokumentation nach Sydney zu bringen. Eine kritische Diskussion im sonnenseligen, relaxten Sydney anzuregen gestaltete sich indes schwieriger als gedacht.
So hatte man zum Beispiel am vorletzten Ausstellungstag ein Seminar zur Olympiaproblematik organisiert, für das man sich einiges an Presse erhoffte – vergeblich. Am Aufgebot der Redner lag es nicht. Es sprachen Pam Allen (Umweltsprecherin der Labor-Partei), Carla Bell (Greenpeace) und Jeff Angel vom Total Environment Centre (TEC). Letzteres kritisierte das Vorgehen von Greenpeace und bezeichnete die auch von Greenpeace abgesegneten grünen Richtlinien in der Olympia-Bewerbung, die in den Augen vieler Sydney zum Sieg verholfen haben, als „nichts weiter als heiße Luft“.
„Der Zustand von Sydneys Umwelt ist in sträflicher Weise verzerrt dargestellt worden. Der Minister von Neusüdwales behauptet, die Spiele fänden in einer sauberen Umwelt statt.“ Ferner: „Die Spiele sind im September, wo die Luftverschmutzung abnimmt.“ „Quatsch“, meint Jeff Angel, „im September nimmt die Luftverschmutzung eher zu.“ Genausowenig hält er es für wahrscheinlich, daß Neusüdwales in der Lage sein wird, bis ins Jahr 2000 das Gesamtaufkommen an Müll, das als „Landfüllmaterial“ verwandt wird, um 50 Prozent zu reduzieren. Denn die Regierung fördert Müllkippen durch private Unternehmen, was den anfallenden Müll vermehren wird. Außerdem kritisiert er, daß weder in den Verträgen zu den Spielen noch in entsprechenden Dokumenten zur Stadtplanung irgendwelche Bestimmungen vorhanden sind, die den zuständigen Minister zwingen könnten, ein wirklich „grünes“ Dorf zu bauen. Der regionale Bebauungsplan der Homebush Bay, des designierten Olympiageländes, gibt diesem die Entscheidungsgewalt. Richtlinien müssen lediglich „in Betracht gezogen werden“.
Es ist kein Geheimnis, daß die Spiele in der Nähe eines der verseuchtesten Industriegelände stattfinden werden. Eine neue Studie spricht gar von „Sydneys giftigen grünen Spielen“. Denn „während der Bauphase stellen die am meisten verseuchten Areale ein potentielles Gesundheits- und Sicherheitsrisiko für Arbeiter und Besucher dar, aufgrund ihrer Durchsetzung mit Asbest und anderen Chemikalien“. Luft und Staub werden ständig auf Chrom 6, Benzol, Arsen und Asbest hin kontrolliert. Vertreter der Gewerkschaften haben sich einverstanden erklärt, daß dort 80.000 Tonnen Asbestabfall nicht – wie vom Gesetz vorgesehen – in Säcken abtransportiert werden, sondern lediglich naß gespritzt auf offenen Lastwagen. Kein Wunder, daß man zu riskanten Konzessionen bereit ist: Nach Jahren der Rezession und Arbeitslosigkeit ist man in der Baubranche um jeden Arbeitsplatz froh.
Auch in anderer Hinsicht wird ein Auge zugedrückt: Obwohl die Homebush Bay eine verschmutzte Industriemüllkippe ist, gibt es dort auch Orte von ökologischer Bedeutung, viele Fische und Vögel benutzen die Bucht als Brutgebiet. Und gegenüber des zukünftigen Olympiageländes liegt der Bicentennial Park, das Zuhause von Tausenden einheimischer Vögel. Normalerweise werden solche Gebiete nicht zur Bebauung freigegeben.
Die Einwohner von Sydney können froh sein, daß Greenpeace sich um ihre Interessen kümmert. Carla Bell findet trostreiche Worte: Die Spiele würden nicht auf dem am allerverschmutztesten Areal stattfinden, dem Gelände der Union Carbide auf der anderen Seite der Bucht. Dort sei das größte Problem. Aber das scheint Greenpeace im Moment nicht zu interessieren. Die grüne Organisation verfolgt ihre eigenen unternehmerischen Interessen: ihr „grünes“ Dorf bauen. Wenn die Spiele jemals als grüne Spiele in die Geschichte eingehen sollen, müßte man sich bald an die Arbeit machen. Sogar die konservative Umweltschutzbehörde (EPA) von Neusüdwales hat die Regierung des Landesministers Fahey kritisiert, er würde sein Versprechen, für umweltfreundliche Spiele zu sorgen, nicht einhalten. Nach Befinden von EPA hat keines der Mitglieder des Olympischen Komitees – dem übrigens auch keine einzige Frau angehört – irgendeine Erfahrung in Umweltfragen. Aber auch das ist den Zeitungen von Sydney nur eine Kurzmeldung wert.
Es gibt viele Gründe für das Fehlen jeglicher Opposition zu den Spielen, die zu einem sozialen und wirtschaftlichen Desaster werden könnten. Vor allem ist Australien eine ausgesprochen sportbegeisterte Nation – 90 Prozent der 16- bis 65jährigen bezeichnen sich als aktive Sportler in mindestens einer Sportart, Wandern und Schwimmen eingeschlossen, 96 Prozent sehen sich Sportsendungen im Fernsehen an. Ingrid Strewe, Sydney
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen