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Leiche im Beatles-Keller

Kurt Cobain ist tot, aber wer zum Teufel war eigentlich Stuart Sutcliffe? Antwort für die Nachgeborenen gibt „Backbeat“, der „Film des Jahres“ über die „Musik einer ganzen Generation“ am Beispiel der „Band des Jahrhunderts“  ■ Von Thomas Groß

Fragen eines lesenden Beatles- Fans: Lieber Gott, Warum sind eigentlich ausgerechnet die Beatles die Beatles geworden? Zumal in der Besetzung – mit John, Paul, George und Ringo? Was war das Unschlagbare an ihnen? Und wenn die Beatles nicht die Beatles geworden wären, wer hätte dann die historische Nachfrage nach Beatlestum befriedigt? Was ist mit all den namenlosen Teenagern, die den Keim zum Beatle in sich trugen, dann aber durch irgendeinen dummen Zufall nicht die Chance kriegten, ihn auch wirklich auszutragen? Und haben die Beatles dadurch, daß ihr Beatles-Sein sich so über einem ungeheuren Abgrund, einem schwarzen Loch an Nicht- Beatlestum wölbt, nicht ungeheure Schuld auf sich geladen?

Extended Versions solcher Pubertätsgrübeleien fanden sich später bei John W. Benjamin und Paul McAdorno, und zumindest Spurenelemente davon müssen auch Regisseur Iain Softley durch den Kopf gegangen sein, als er die Idee zu „Backbeat“ hatte. Der „Film des Jahres“, der damit wirbt, „die Musik einer ganzen Generation“ am Beispiel der „Band des Jahrhunderts“ aufzurollen, handelt nämlich nur in zweiter Linie von den Siegern, von John, Paul, George und dem anderen Jungen. Eigentlicher Held ist der „fünfte Beatle“, der Kunstmaler und Bassist der ersten Stunde Stuart Sutcliffe. Eine tragische Figur, wie man so sagt: Just in dem Moment, in dem die Band so richtig erfolgreich wurde, verschied Sutcliffe, getrennt von den anderen und irgendwie auch verstoßen, an einem Gehirntumor. Und das heißt doch: Stu ist die Leiche im Keller der Beatles.

Fans wissen so was natürlich längst aus Hunter Davies' „Alles was du brauchst ist Liebe“ oder anderen Beatles-Band-Bios, dürfen sich aber trotzdem noch mal an der Story delektieren. Denn wie schlecht sie auch erzählt sein mag, es bringt ja von vornherein immer diesen wohligen Schauer, britischen Jungmännern zuzuschauen, die außer ihrem breiten nordenglischen Akzent wenig auf der Pfanne zu haben scheinen, und dabei quasi GOTT zu sein, der Typ im Dunkeln, der weiß, was alles noch kommt: Glück, Glanz, Ruhm und die Liebe der Frauen nämlich. Gnädig leiht man düster-existentiellen Philosophien sein Ohr, die über den Dächern unter Liverpools bleischwerem Himmel entwickelt werden („We've gotta get out of this place“ oder so ähnlich...), ja, man erschrickt nicht einmal richtig, als der junge John Lennon in einem Lokal übel eins aufs Maul kriegt – so übel, daß er erst gar nicht mehr aufstehen will: John, komm schon, nicht abnippeln, du wirst noch gebraucht!

Bekanntlich führte die historische Mission der Beatles sie dann Anfang der Sechziger nach Hamburg, und kaum ist der Film da angelangt, schlägt auch schon die große Stunde des Lokalkolorits: Matrosen, Hafenbaratmo, Nackttänzerinnen auf St. Pauli, alte deutsche Autos, die durch Rotlichtkulissen zuckeln, Blohm & Voss im Hintergrund schön erdachter Halbtotalen – und mittendrin John und Stu, die Softley als das eigentliche Male Couple im Herzen der frühen Beatles schildert. Gemeinsam ficken sie sich durch eine präfeministische Kiezwelt, machen auf der Bühne des „Kaiserkeller“ guten authentischen Rock'n'Roll („Good gully, Miss Molly“) und haben überhaupt ihre wildesten Jahre, was weidlich abgefilmt wird und handlungslogisch nur einen Haken hat: Im Grunde sind die Beatles zu diesem Zeitpunkt noch ein Fifties-Modell. Halbstarke. Zum großen Durchbruch fehlt ihnen die entscheidende Connection zum jungen Mittelstand und seinem Geschmack.

Der betritt ihre spelunkige Welt eines schönen Tages in Gestalt der Hamburger Patriziertochter und Fotografin Astrid Kirchherr. Sie verliebt sich nicht nur auf der Stelle in Stu, der als Künstler und Poser am meisten von allen den James- Dean-Touch hat, sie bringt die Beatles auch mit der Welt jungbürgerlicher Kreativer in Berührung (natürlich leben sie in Jazzkellern mit nach vorne gekämmtem Kurzhaar ganz dem Existentialismus). Wieder kommt viel Kolorit und Kostümfilmartiges zum Zug, dem immerhin ein Richtiges zugrunde liegt: die frühe Beat(les)-Ästhetik hat viel mit dem verliebten Blick emanzipationshungriger Bürgerstöchter auf junge männliche Rollenmodelle (und umgekehrt) zu tun. Kirchherr, die Modedesign studierte, war neben dem Fotografen Jürgen Vollmer die erste, die das Zukunftsweisende und Verallgemeinerbare des Beatles-Modells für die Sechziger erkannte. Sehr zum Leidwesen des Film-John- Lennon, der eifersüchtelt, ein ungeklärtes Verhältnis zu bürgerlichen Schnepfen hat und nicht begreift, mit welchen Augen auch er gesehen wird. Er sieht nur, daß Stu, der ohnehin mehr schlecht als recht Baß spielt, sich der Band entfremdet, während der ehrgeizige Paul McCartney sich an dessen Stelle drängt ...

Leider verläßt der Film just in dem Moment seine geschichtsphilosophische Fragestellung, um sich in Schmonzettenmanier der Liebe zwischen Stu und Astrid zu widmen: „Er mußte sich entscheiden zwischen dem Mädchen, das er liebte, und der größten Rockband aller Zeiten“ (Verleihwerbung). Stu, ganz romantischer Held, entscheidet sich natürlich für Astrid, was wiederum Gelegenheit gibt, Hamburger Künstlerboheme der frühen sechziger Jahre „atmosphärisch stimmig“ ins Bild zu setzen, und für manch blöden, kuschelrockmäßigen Dialog zwischen der im übrigen von der „Twin Peaks“- Leiche Laura Palmer (alias Sheryl Lee) gespielten Astrid und dem Untergeher Stuart (Stephen Dorff) sorgt. Zum Glück kommt es zum Szenenwechsel, als die Beatles aus Jugendschutzgründen nach Liverpool zurückgeschickt werden – ohne Sutcliffe, der sich damit definitiv at the right time at the wrong place befindet.

Ein letztes Mal entkommt „Backbeat“ der Kitsch- und Psychofalle, indem er in schnellen Schnitten den Wettbwerb zweier Produktions- und Selbstverwirklichungsformen darstellt. Battle of the Bands: Während die Beatles sich als souveräne Viererbande immer mehr ihren bekannten Erfolgssound draufschaffen, klatscht Stu, von Astrid umsorgt, in seiner Hamburger Dachbude die Farbe auf die Leinwand. Unter beträchtlicher Kraftanwendung spachtelt er darin herum, als wollte er die Körperlichkeit der Musik, die er zugunsten von „Kunst“ verlassen hat, gewaltsam wieder zurückholen. Dabei sieht doch ein Blinder mit Krückstock, daß ein Pinsel keine Gitarre ist und Stu mit seiner altmodischen 19.-Jahrhundert- Künstler-Attitüde nichts auszurichten vermag gegen die fantastischen sexy Beatles, die gerade dabei sind, sich in sämtliche Kanäle der technifizierten Sixties einzuspeisen. Es riecht plötzlich sehr nach Teen Spirit.

Fast zwangsläufig will es einem da vorkommen, daß der „fünfte Beatle“, dem mehr und mehr eine gewisse Van-Gogh-Verzweiflung auf den Leib gefilmt wird, von epileptischen Zuckungen befallen, rasch wegstirbt. „He's gone“, weiß Astrid den Beatles gerade noch zu berichten, als sie auf dem Hamburger Bahnhof eintreffen, der ersten Station ihres triumphalen Siegeszugs um die Welt. Softley aber, auf den letzten Metern scheinbar zum affirmativen Interpreten des Beatles-Phänomens konvertiert (die Beatles sind die Beatles sind die Beatles ...), beschert uns ganz zum Schluß noch einmal ein hochambivalentes Bild: Wie John Lennon auf dem Bahnsteig mit seinem frisch geschnittenen Pilzkopf steht und ein wenig blöd aus der Wäsche kuckt, ist er plötzlich so etwas wie die Epiphanie des ewigen Beatles, auf tragische Weise forever young. Während Stuarts arme Seele nämlich endlich Ruhe hat, ist er dazu verurteilt, als Leader der „Band des Jahrhunderts“ auf ewig in Beatles-Filmen, Beatles-Büchern und anderen Beatles-Gedächtnisteilen herumzuspuken.

The Beat goes gnadenlos on: Anders wäre ja auch nicht zu erklären, daß Helden des mitteljungen Rock wie Greg Dulli (Afghan Whigs), Thurston Moore (Sonic Youth), Dave Grohl (Drummer von Nirvana!), Dave Pirner und andere sich für den Soundtrack von „Backbeat“ voller Begeisterung an fetenhafe Neuinterpretationen des von den Beatles damals dargebotenen Materials herangemacht haben. Grunge, sagen sie uns damit, hat mit Punk zu tun, und Punk mit Rock'n'Roll, aber alle Wege führen letztlich zur Urformel Beatles. Wir brauchen sie noch und werden sie füttern, wenn wir 64 sind.

„Backbeat“. Regie: Iain Softley, Kamera: Ian Wilson. Mit: Sheryl Lee, Stephen Dorff, Ian Hart, Gary Bakewell, Chris O'Neill, Scot Williams, Kai Wiesinger, Jennifer Ehle. England 1993. Der Film startet am kommenden Donnerstag.

Ein Bild- und Dokumentenband zum Thema „Beatles in Hamburg“ (mit Zeitzeugen-Interviews, einer Ansagen-Single und diversen, unterschiedlich interessanten Früh-Beatles-Memorabilien) ist, garantiert unabhängig vom Film, im letzten Herbst im Braunschweiger ZeitReich Verlag erschienen: Thomas Rehwagen/Thorsten Schmidt: „Mach Schau! – Die Beatles in Hamburg“, 208 Seiten, 39,80 DM

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