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A Denial! A Denial! A Denial!

Die letzte Negation aus dem Amerika der Vorstädte: Kurt Cobain, Sänger von Nirvana, hat sich erschossen  ■ Von Jörg Heiser

Vor etwas über einem Monat hörte ich im Radio, daß Nirvana-Sänger Kurt Cobain in Rom im Krankenhaus liege und nur knapp dem Tod entkommen sei. Eine lebensgefährliche Mischung aus Tranquilizern und Champagner. Freitag, den 4. März 1994, morgens um 6.15 Uhr, so lese ich später im New Musical Express, hatte Courtney Love ihren Mann bewußtlos aufgefunden, sofort ins Krankenhaus bringen lassen, wo er erst um 15.45 Uhr aus dem Koma erwachte.

„... aber obwohl Cobain diese ganze Drogen- und Unglücklicher- Held-Theatralik wie ein nicht zur Ruhe gekommener Zombie noch einmal leben muß, ist sie trotzdem nach wie vor ,Staatsangelegenheit‘“, habe ich dann geschrieben, nachdem ich mit der US-Band Pavement ein Interview für die tageszeitung gemacht hatte. Weil ich mir merkwürdig sicher war, daß, selbst wenn Cobain nicht mit der Mythenbildung, die man von ihm erwartete, bewußt inszenatorisch spielte, er sie doch ausagierte. Daß es um ein Spiel mit den Mechanismen des Mainstream ging. Daß es darum ging, daß ich in irgendeinem Auto in Deutschland im Radio die Nachricht in den „CNN-News“ des US-Militärsenders hören würde. Daß er nicht wirklich im Koma gelegen hatte, und wenn, dann nur, um nicht zu sterben: Die Zeiten sind vorbei, wo Rockstars den Rock'n'Roll-Tod starben.

Eine kleine Punkrockband aus Aberdeen, hundert Meilen südwestlich von Seattle, hatte nach ihrem 89er Debüt „Bleach“ mit der im Oktober 1992 erschienen LP „Nevermind“ ein Muß aufgenommen: ein Muß-jeder-Teenager- mit-einer-Spur-Widerstand-im- Leib-haben. Es brauchten nur alle einmal diesen Song, „Smells Like Teen Spirit“, gehört zu haben, einen Song, der alles ausdrückte, was Punk in der ganzen Zeit nach dem magischen Sex-Pistols-Jahr 1977 über sich gelernt hatte. „Here we are now, entertain us ... I feel stupid and contagious“: es gibt nichts zu sagen, was direkt weiterverwertet werden kann, es geht nicht darum, denen da draußen alles zu erklären, sie werden es verstehen, wenn es sie betrifft – die auflösende Kraft, die in gemurmelten und dann wieder gebrüllten Wortfolgen liegt, die in einer den Song abschließenden Verneinung, Negation, Verweigerung gipfelt: „A denial! A denial! A denial! A denial!“

Das war blanke Negation, die ihre Begründung nicht zur Interpretation vorlegt; die an der Highschool und in den Vorortwohnungen eine Lethargie passiver Widersetzung gegen die alltägliche Eingliederung mit dem Wissen um die Möglichkeit eines Impulses zur Überwindung versorgte. Und das mehr durch die Art, wie die Worte gesungen, von einer brachialen Musik und der Struktur eines perfekten Popsongs getragen waren, als durch ihren Inhalt. Nirvanas „Nevermind“ ist bis heute an die zehn Millionen Mal verkauft worden.

Und jetzt ist Kurt Cobain tot. Seine Leiche wurde am Freitag in seinem Haus in Seattle gefunden. Er hat sich erschossen und einen Abschiedsbrief an seine Familienangehörigen hinterlassen. Die Berichte über seine Drogenabhängigkeit, die jahrelang durch die Presse gegeistert sind, schienen wie ein notwendiges Begleitraunen den Mythos zu nähren, den eine Stimme wie diese über die Veralltäglichung des Rocks hob. Natürlich hatte er wie Johnny Rotten in Fernsehkameras gespuckt und die Revolte reinszeniert. Er hatte mit Courtney Love – der Sängerin der Band Hole – das Paar gebildet, das die Geschichten von Sid Vicious/ Nancy Spungen und John Lennon/ Yoko Ono wie einen zu Ende zu lebenden wirren Traum wiederkehren ließ. Im Hotel „Four Seasons“ in Seattle hatten sie sich einmal als Sid und Nancy Vicious eingetragen. Im September 1992 kam ihre Tochter Frances Bean zur Welt, und die Klatschspalten füllten sich mit Berichten, Courtney Love habe angeblich während der Schwangerschaft Heroin genommen.

Dieses manchmal schon ermüdende Spiel der tradierten Rockmythen, das in den Neunzigern beweisen mußte, daß die Lüge authentischen Outlawtums im Rock nicht mehr aufrechtzuerhalten ist, ist plötzlich kein Spiel mehr. Der Mythos ist weg. Er ist der merkwürdigen Ernüchterung gewichen, daß Cobain nicht in einem von symbolischen Akten und ihren Echos gebildeten Feld der Popkultur gestorben ist, sondern in dem Zimmer über der Garage in dem Vorstadthaus in Seattle.

Kurt Cobain hatte chronisch starke Magenschmerzen, er hatte Heroin genommen, vielleicht hatte er Depressionen – war es das? Ich weiß wenig bis gar nichts über die möglichen Gründe für den Selbstmord eines 1967 geborenen Musikers, der noch im Herbst letzten Jahres gesagt hat: „Neil Young ist für mich der Größte, seine Karriere ist beispielhaft. Er hat alles gemacht, alles ausprobiert. Er hat den Leuten nie das gegeben, was sie von ihm erwarteten. So wie er würde ich gerne alt werden.“ (Spex 11/93).

Für die letztjährige dritte Platte „In Utero“, die der Versuch war, nach dem „Nevermind“-Phänomen mit Roheit und Brachialität an die Grenze dessen zu gehen, was der Mainstream ertragen würde, gab es einen Arbeitstitel: „I hate myself and I want to die“. Auch das wäre ein Versuch gewesen, dem Mainstream einen expliziten Nihilismus entgegenzuschleudern, den er nur schwer verarbeiten können würde – die anderen Bandmitglieder sprachen sich gegen den Titel aus.

Es wird nicht lange dauern, bis der von der Todesnachricht angehaltene Atem des Symbolischen auf einer anderen Ebene neu einsetzt und im Rückblick jede Handlung, jeden Satz, jeden Blick Kurt Cobains vorahnend auf sein Ende hin erscheinen lassen wird. „Wenn ich mich umbringen werde, werde ich mich aus einem guten Grund umbringen und nicht wegen eines blöden Magenproblems. Deshalb habe ich beschlossen, alles im Exzeß auf einmal zu nehmen“, hat er ebenso in einem Interview gesagt wie: „Fünf Jahre lang, während der Zeit meines Magenproblems, ja, da wollte ich mich jeden Tag umbringen. Ich stand oft sehr kurz davor.“

Auf Seite drei der Ausgabe des New Musical Express vom 12. März 94 ist ein Schnappschuß von Nirvanas zu diesem Zeitpunkt schon längst abgebrochener Europatournee zu sehen: links Schlagzeuger Dave Grohl, ein entspannt albernes Grinsen, weiße Socken, keine Schuhe, rechts Bassist Chris Novoselic, lässig auf eine Motorhaube gelehnt, mit einem halb unsicheren, halb spöttischen Lächeln. In der Mitte: Kurt Cobain, in den Händen ein Maschinengewehr ohne Magazin, den Daumen am Abzug, die Mündung im Mund.

Als ich Samstag abend am Telefon vom Tod Cobains erfuhr, wollte ich es erst nicht glauben. Nicht, weil ich es nicht begreifen konnte, sondern weil ich einfach skeptisch war, ob es stimmt. Zu sehr vertraute ich darauf, daß kein Rockstar mehr so stirbt, daß allenfalls die Idee davon zu zynischen Aktionen Anlaß geben könne. Sid Vicious und sein Tod im Chelsea Hotel, Joy Divisions Sänger Ian Curtis, der sich erhängt hatte – das waren für mich die letzten Ausläufer eines Sechziger-Jahre-Motivs: Hendrix, Morrison. Aber dann saß da Sabine Christiansen in den Tagesthemen und sprach, sichtlich um korrekte Aussprache bemüht, den Namen dieses Sängers aus, der einer Generation, die keine „Werte“ mehr habe, seine Stimme gegeben und die Verzweiflung der Teenager ausgedrückt habe. Ein kurzer Korrespondentenbericht, Bilder vom Haus, Konzertausschnitt, ein Schlußwort, das Wetter.

Ist der Tod Kurt Cobains ein Ereignis, das das Ereignis Nirvana übersteigt? Ich will es erst einmal gar nicht wissen. Das Gefühl, einen pophistorischen Augenblick miterlebt haben zu müssen, der dazu geführt hat, daß auf der ganzen Welt Teenager ein „Hast du es auch schon gehört?“ geraunt haben, ist verwirrend genug.

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