: Brasilien erhofft von Gatt einen Exportboom
■ Welthandelsabkommen soll Agrarexporteuren bessere Absatzchancen bieten / Vertragsbrechern bleibt eine Hintertür, Dumpingvorwürfe sind schwer beweisbar
Rio de Janeiro (taz) – Bis jetzt gehören die Entwicklungsländer zu den Verlierern des Welthandels, der 1992 rund 3,58 Billionen US-Dollar bewegte. Brasilien erhofft sich nun von den neuen Spielregeln des Freihandels, die in dieser Woche in Marrakesch feierlich von den Wirtschaftsministern der 122 Gatt-Länder unterzeichnet werden, einen Impuls für seine Exportwirtschaft. 3,4 Milliarden US- Dollar, so die OECD, soll Brasilien durch die Handelsliberalisierungen der Uruguay-Runde jährlich dazugewinnen. „Brasiliens Anteil am Welthandel ist mit einem Prozent äußerst bescheiden. Hier bestehen große Expansionsmöglichkeiten“, heißt es auch im Wirtschaftsbericht der deutsch-brasilianischen Handelskammer, der im März veröffentlicht wurde.
Im vergangenen Jahr stellte Brasilien mit 38,7 Milliarden US- Dollar einen neuen Ausfuhrrekord auf. Für 1994 wird mit einem Exportvolumen von 50 Milliarden Dollar gerechnet. Nach Gatt-Angaben avancierte Lateinamerika dank der gestiegenen Nachfrage aus den USA und Kanada 1993 zum regionalen Markt mit der größten Wachstumsrate.
Brasiliens Aufschlüsselung der Exporte blieb dabei unverändert: 60 Prozent der Ausfuhren sind Fertigprodukte wie Autos, Busse, Motoren und Traktoren, 15 Prozent sind Halbfertigprodukte und 25 Prozent Rohstoffe wie Soja, Kaffee, Aluminium, Tabak, Zucker und Orangen. Eisenerz ist mit 5,82 Prozent das wichtigste einzelne Exportprodukt Brasiliens.
Chancen für Agrarexporte
Nach einer Studie der Weltbank würde der Abbau der Handelsschranken allein in den Vereinigten Staaten, Japan und Europa um 50 Prozent in der Dritten Welt einen Exportschub von 50 Milliarden Dollar im Jahr auslösen. Allein in den zwölf Mitgliedsstaaten der Europäischen Union betrugen die Agrarsubventionen 1992 rund 46 Milliarden Dollar – zum Nachteil der traditionellen Agrarexporteure, die mit den heruntersubventionierten Preisen nicht konkurrieren können. Japan hat seinen Markt gegenüber ausländischen Agrarprodukten fast gänzlich geschlossen.
Dumping schwer zu entlarven
Das Gatt-Abkommen, das eine neue Welthandelsordnung für Waren, Dienstleistungen und Wissen bieten und 1995 in Kraft treten soll, verpflichtet unter anderem die EU-Länder, ihre Agrarsubventionen innerhalb von neun Jahren abzubauen. Dennoch besteht für den lateinamerikanischen Kontinent, Exporteur von Agrarprodukten und Rohstoffen, kein Grund zum Jubeln. Denn das Gatt-Abkommen läßt Vertragsbrechern stets eine Hintertür offen.
„Das ultraliberale Rezept, das die Industrieländer der Dritten Welt verkaufen, ist heuchlerisch. Denn keiner der großen kapitalistischen Staaten praktiziert den Liberalismus, den er anderen predigt“, kritisiert die brasilianische Tageszeitung Folha de São Paulo. „Brasilien kann gegen die Europäer ermitteln, doch bevor es eine Klage beim Gatt einreicht, muß es verhandeln“, sagt João Gualberto Marques Porto, Leiter der Abteilung für internationale Handelspolitik im brasilianischen Außenministerium. Falls Brasilien sich beispielsweise durch subventionierte Exporte aus der EU bedroht fühlen sollte, so der Diplomat, sei es ratsam, zunächst eine Preiserhöhung auszuhandeln, anstatt das betreffende Land beim Gatt-Schiedsgericht wegen unlauteren Wettbewerbs und Dumpings anzuklagen.
Was die im Gatt-Abkommen festgelegte umgekehrte Beweispflicht bedeutet, ließ Brasilien kürzlich sein Nachbarland Argentinien spüren. Statt von seinem Haupthandelspartner in Lateinamerika hatte Brasilien 1,8 Millionen Tonnen spottbilligen, weil subventionierten Weizens aus Kanada und Deutschland importiert. Die Weizenanbauer Argentiniens, für die Brasilien traditioneller Absatzmarkt ist, liefen Sturm. Doch ihrer Forderung nach Kompensation kam Brasiliens Regierung nicht nach: „Laut Gatt muß vor einer eventuellen Kompensation bewiesen werden, daß die importierten Waren tatsächlich subventioniert waren und den Wettbewerb verzerrt haben“, beschied Außenminister Celso Amorim.
Weder Argentinien noch Brasilien verfügen jedoch über den notwendigen bürokratischen Apparat, um dieser Beweispflicht nachzukommen. „Wir müssen die Fähigkeit erlangen, Dumping oder Subventionen zu entlarven und die daraus sich ergebende Verlustspanne zu errechnen“, räumt Marques Porto ein. Dazu bräuchte Brasilien eine eigene, politisch unabhängige Behörde mit Spezialisten im internationalen Handelsrecht. Astrid Prange
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