Regierungswechsel in Japan?

■ Koalition in Tokio vor dem Ende

Tokio (taz) – Die politische Krise in Japan nach der Rücktrittserklärung von Premierminister Morihiro Hosokawa hat sich zu einer handfesten Regierungskrise ausgeweitet, die schon in den nächsten Tagen zur Bildung einer neuen Koalitionsregierung führen könnte. Gestern verließen die Sozialdemokraten vorzeitig die Gespräche darüber mit der Begründung, daß eine neue politische Grundsatzdebatte innerhalb der Koalition derzeit nicht möglich sei. Beobachter sagten voraus, daß die Koalition bereits faktisch aufgelöst sei, falls ein für heute von den Sozialdemokraten vorgeschlagenes Koalitionstreffen der Parteichefs nicht zustande komme. Die Vorsitzenden von mindestens drei Parteien verweigerten gestern ihre Zusage zu dem Treffen.

Hintergrund sind bisher verdeckte Meinungsverschiedenheiten der Regierungsparteien. Die Sozialdemokraten widersetzen sich einer Erhöhung der Mehrwertsteuer ebenso wie dem amerikanischen Konfrontationskurs gegenüber Nordkorea. Die Differenzen innerhalb der Koalition bekommen jedoch nur deshalb ihr Gewicht, weil sich den regierenden Mitte-Rechts-Parteien inzwischen die Perspektive einer neuen Mehrheit im Parlament bietet. Am Wochenende bot sich eine Gruppe der oppositionellen Liberaldemokratischen Partei (LDP) unter Führung des ehemaligen Außenministers Michio Watanabe als neuer Koalitionspartner an. Auf ein solches Bündnis drängt auch der noch amtierende Premier Hosokawa.

Auch für den aussichtsreichen Kandidaten für das Amt des Premieministers, den bisherigen Außenminister Tsutomu Hata, wäre eine Erweiterung der Koalition um Teile der Liberaldemokraten der beste Weg in ein stabiles Zweiparteiensystem. Aus diesem Grund verteidigte Hata gestern die Gründung einer neuen Parlamentsfraktion namens „Reform“, der bereits die Vertreter von vier Parteien der Koalition angehören. Die neue Fraktion soll als Provisorium für eine zweite große konservative Partei jenseits der LDP dienen. Georg Blume