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Nichts als rote Zahlen

Von den Visionen eines integrierten Technologiekonzerns ist Daimler-Benz weiter denn je entfernt/ Nichts läuft, wie es laufen sollte / Nur Rechentricks versüßen die trostlose Bilanz  ■ Von Erwin Single

Berlin (taz) – Edzard Reuter, Vorstandsvorsitzender von Daimler-Benz und eigentlich ein Meister in Sachen Visionen, übt sich neuerdings in einem anderen Fach. Seit sich die desolate Lage des größten deutschen Industrieimperiums nicht mehr beschönigen läßt, spielt der sonst besonnene Vordenker mal den Aufgeregten, mal den Frustrierten. Um Antworten nie verlegen, repetiert er auf kritische Fragen tapfer, daß sich das Unternehmen auf gutem Wege befinde. Auf der außerordentlichen Hauptversammlung im Dezember ätzte der Daimler-Chef gegen alle Vorwürfe, er habe den schwäbischen Juwel in einen Scherbenhaufen werwandelt. Der Konzernschmied ist merkwürdig gereizt – da verliert einer, so scheint es, die Nerven. Der Grund: In dem zusammengekauften Gemischtwarenladen läuft nichts, wie es laufen sollte. Statt dessen hagelt es Milliardenverluste, die jeden neunten der weltweit rund 370.000 Beschäftigten den Job kosten.

Zu allem Übel muß Reuter heute auch noch eine schöngefärbte Jahresbilanz präsentieren. Der Konzern (jährlicher Umsatz: knapp 100 Mrd. DM) soll, so will der Spiegel wissen, im letzten Jahr einen Betriebsverlust von 1,1 Milliarden Mark erwirtschaftet haben. Nur mit Tricks konnten die Bilanzkünstler außerordentliche Erträge von 2,6 Milliarden gutschreiben; zudem wurden für knapp 1,7 Milliarden Mark Wertpapiere verscherbelt. Das Ergebnis der Rechenaktion: Statt tiefroter Zahlen weist die Bilanz einen Gewinn von 615 Millionen Mark aus. Nach den strengeren US-Bilanzierungsregeln sank der Stern aber mit 1,8 Milliarden Mark in die Verlustzone – 1992 hatte er noch 1,4 Milliarden Gewinn abgeworfen. Doch das ist noch nicht alles: Konnte sich der Daimler-Trust in der Vergangenheit stets ärmer rechnen, als er war und dicke Reserven anlegen (die Speckschicht soll sich auf rund 10 Mrd. DM belaufen), kommt das nach stockschwäbischen Kriterien berechnete interne Betriebsergebnis zu katastrophalen Daten. Schon im Dezember hatte Reuter dieses für 1993 auf minus 5,4 Milliarden beziffert.

Der Höhenflug ist zu Ende

Weit übers Auto hinaus wollte der Philosoph unter Deutschlands Industriemanagern mit seiner Vision vom integrierten Technologiekonzern. Dem Auto traute er keine große Zukunft mehr zu. Das Motto der Veranstaltung, zu der Reuter Vorstände und Aufsichtsräte trieb, hieß Diversifikation; die Strategie, der sich der Konzern ohne große Rücksicht auf das Risiko verschrieb, lautete: think big and buy quick. Mit der prallen Kasse des angesehenen Autounternehmens ausgestattet, raffte Reuter zusammen, was auf dem Firmenmarkt zu kriegen war. Ein Konzern mit Schwerpunkt auf den Zukunftstechnologien Luft-, Raumfahrt und Elektronik sollte zusammenwachsen, bei dem sich die Sparten mit Synergie-Effekten gegenseitig befruchten. Das klang zwar nicht schlecht, entpuppte sich aber bald als Irrfahrt.

Zum Erwerb des konkursreifen Elektroriesen AEG ließ sich Reuter Mitte der 80er Jahre durch die optimistischen Prognosen über den Elektronikmarkt verleiten. Doch das Traditionsunternehmen (Branchen-Spott: „Aus Erfahrung rot“) war weder von der Größe noch von der Struktur her in der Lage, gegen die Konkurrenz einen Blumentopf zu gewinnen. Selbst nach siebenjähriger Sanierung schreibt die AEG rote Zahlen; nacheinander wurden die Sparten Kabeltechnik, Elektrowerkzeuge, Hausgeräte und ein Teil der Automatisierungstechnik verhökert, der Büromaschinenhersteller Olympia machte dicht.

Nicht viel besser lief es mit dem unter der Dasa gehorteten Sammelsurium: Der Versuch der technologiesüchtigen Stuttgarter, mit der uninteressanten Dornier-Flugzeugklitsche, der Rüstungsschmiede MBB, dem behäbigen Motorenbauer MTU und dem deutschen Anteil an der Airbus- Industries den Luft- und Weltraum zu erobern, schlug fehl. Der Einstieg ins Rüstungsgeschäft, vor dem schon Vorstandskollegen und der damalige Aufsichtsratschef Alfred Herrhausen gewarnt hatten, zahlt sich nicht aus. Die zivile Luftfahrt kann die Einbrüche nicht wettmachen; reihenweise werden Airbus-Bestellungen storniert. Um aber einen kompletten Flugzeugbaukasten zusammenzubekommen, arrondierte Dasa-Pilot Jürgen Schrempp noch die niederländische Fokker.

Arg gebeutelt hat es auch die Milchkuh des Konzerns, den Automobilbau. Zwei Drittel des Konzernumsatzes werden im Stammgeschäft bei Mercedes erwirtschaftet; der Einbruch der Autokonjunktur ließ die stolzen Gewinne auf wenige Millionen schrumpfen. Und kaum konnten im Pkw-Geschäft mit der neuen C-Klasse die Verkaufszahlen wieder gesteigert werden, blieben die Mercedesmänner auf ihren Lkw sitzen. Nun murren sie, daß sie die Dasa- und AEG-Verluste ausgleichen sollen. Edzard Reuter und Jürgen Schrempp müssen derweil erkennen, daß tolle Konzernorganigramme allein nicht reichen – vielleicht die teuerste Einsicht, die sich ein deutscher Konzern je leistete.

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