: Ein rot-grünes Modell für Deutschland?
Nach drei Jahren sozial-ökologischer Koalition in Hessen ist die Euphorie verflogen / Seit Schröders Wahlsieg in Niedersachsen tritt auch die hessische SPD selbstbewußter auf ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt
Frankfurt/Main (taz) – Vor knapp einem Jahr hatte Hessens Ministerpräsident Hans Eichel (SPD) sein rot-grün regiertes Land noch stolz als Modell auch für Deutschland angeboten. Da feierte die sozial-ökologische Koalition in Wiesbaden gerade „Bergfest“. Zwei politisch erfolgreiche Jahre lagen hinter Eichel und seinem Umweltminister Joschka Fischer (Bündnis 90/ Die Grünen). Doch seither ist viel Schmutzwasser den Rhein hinabgeflossen: Bei den hessischen Kommunalwahlen im März 1993 wurde die SPD gebeutelt wie nie zuvor in ihrer Nachkriegsgeschichte. Hochburgen der SPD, wie Kassel oder Rüsselsheim, fielen der Union in die Hände. Und die Lottoaffaire gab den angeschlagenen Sozialdemokraten fast den Rest.
Daß Eichel bei all den kleinen und großen Katastrophen den Kopf zumeist in den Sand steckte, hat ihm nicht nur der Koalitionspartner übelgenommen. Eichel stand nach der Lottoaffaire auch bei der SPD zur Disposition. Er konnte seinen Kopf nur aus der Schlinge ziehen, weil die Macher der SPD in Bonn und Hessen nicht mitten in der Legislaturperiode die Pferde wechseln wollten. Seit die Bündnisgrünen in Niedersachsen nicht mehr mitregieren dürfen, ist Hessen das letzte sozial-ökologisch regierte Bundesland der Republik. Doch ein Musterland für ein funktionierendes rot-grünes Modell Deutschland ist das Land nicht. Zwar kämpft Joschka Fischer mit Rückendeckung des Ministerpräsidenten an der Atomfront tapfer weiter gegen seinen Kontrahenten Klaus Töpfer (CDU).
Doch seit Fischer seine bundespolitischen Ambitionen angemeldet hat, blieb sein Einsatz für das Image der Koalition in Wiesbaden auf das fachspezifische Engagement beschränkt. Es ist merkwürdig still geworden bei Bündnis 90/ Die Grünen im Landtag. Die Fraktion um ihren Vorsitzenden Rupert von Plottnitz (53) und der meinungsbildende „Frankfurter Kreis“ basteln lautlos an Modellen für die Zeit nach Fischer. Falls SPD und Grüne die Landtagswahlen schadlos überstehen sollten, gilt von Plottnitz als „ministrabel“. Und Gesundheitsministerin Iris Blaul, die auf dem Listenparteitag der Bündnisgrünen für die Landtagswahlen wohl wieder zur Spitzenkandidatin gewählt werden wird, dürfte im Kabinett verbleiben bei einer Neuauflage der rot- grünen Koalition. Seit dem Sieg von Gerhard Schröder (SPD) in Niedersachsen sind die Bündnisgrünen in heftige Abwehrkämpfe gegen eine selbstbewußter gewordene SPD-Fraktion und die forschen sozialdemokratischen Minister Lothar Klemm (Wirtschaft und Verkehr) und Ernst Welteke (Finanzen) verstrickt.
SPD will Kahlschlag am Rhein-Main-Flughafen
Nach Schröderschem Vorbild demonstrieren die Sozialdemokraten jetzt auch in Hessen bedingungslosen Einsatz für die Wirtschaft – und stellen dabei die „glasklaren Koalitionsvereinbarungen“ (Fischer) in Frage. Dabei kam das letzte große Gesetzesvorhaben, das laut Koalitionsvertrag noch in dieser Legislaturperiode im Landtag verabschiedet werden sollte, in die Schußlinie der SPD: Nicht mehr mitmachen will sie bei der fest vereinbarten Ausweitung des Verbandsklagerechts auf das gesamte Umweltrecht, weil das der hessischen Wirtschaft zum Nachteil gereichen würde.
Am Rhein-Main-Flughafen sollen nach SPD-Willen und gegen den erklärten Willen der Bündnisgrünen im Landtag wieder Bäume fallen. „Cargo-City-Süd“ heißt das Projekt der Flughafen AG (FAG), mit dem die Gesellschaft die Wettbewerbsposition von Rhein-Main verbessern will. Das Vorhaben könnte nach Auffassung der Bündnisgrünen durchaus ökologisch verträglich realisiert werden, wenn man bei der FAG und in den zuständigen Ministerien bereit wäre, den angekündigten Teilabzug der US-Luftwaffe von der nahegelegenen Airbase abzuwarten. Doch Wirtschaftsminister Klemm und Finanzminister Welteke, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der FAG ist, drängen zur Eile und zum Kahlschlag. „Cargo-City-Süd“ ist kein in den Koalitionsvereinbarungen festgeschriebenes Projekt.
Auch zwischen Innenminister Herbert Günther (SPD) und den Bündnisgrünen hängt der rot- grüne Haussegen schief. Der Minister will abgelehnte AsylbewerberInnen aus Kurdistan in die Türkei abschieben. Für von Plottnitz ein „nicht akzeptables Vorhaben“ und ein Bruch der Koalitionsvereinbarungen. Doch zur Bruchstelle für die Koalition wollen die Bündnisgrünen auch die „Kurdenfrage“ nicht hochstilisieren, auch wenn der neue SPD-Fraktionschef Armin Clauss noch Salz in die bündnisgrüne Wunde streute: „Die Fraktion steht voll hinter dem Innenminister.“ Mit ihrem Widerstand gegen Günther, so Clauss giftig weiter, würden die Bündnisgrünen selbst die Linie der Duldung abgelehnter kurdischer Asylbewerber über den Gnadenweg Petitionsausschuß gefährden. Seitdem verschießt die bündnisgrüne Fraktion ihr Pulver vorzugsweise nur noch in Richtung Bonn. So meint von Plottnitz: „Die Bedenkenlosigkeit, mit der die CDU und ihr Bundesinnenminister den Rechtsstaat und internationale Konventionen zum Schutze von Flüchtlingen jetzt ad acta zu legen bereit sind, ist erschreckend.“
Die euphorische Aufbruchstimmung von 1991 ist im rot-grünen Hessen verflogen. Natürlich gießt da die oppositionelle CDU gern Öl ins glimmende Feuer. In Sachen „Cargo-City-Süd“ kündigte die Union der SPD „volle Unterstützung“ beim Abwerfen von „ideologischem Ballast“ an. Und in Sachen Verbandsklage richtete Fraktionschef Roland Koch (CDU) einen Appell an seinen Kollegen Clauss, die Bündnisgrünen im Interesse der hessischen Wirtschaft endlich in die Schranken zu weisen. Noch stellt in Wiesbaden kein Sozialdemokrat und kein Bündnisgrüner die Koalition in Frage. Doch die SPD „löckt heftig wider den Stachel“ (Bündnisgrüne).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen