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„Junge Welt“ im Ost-West-Konflikt

■ Gremliza mischt als neuer Blattmacher Ost-Redaktion auf

Berlin (taz) – Was haben Helmut Kohl und Hermann L. Gremliza gemeinsam? Beide wollen es 1994 noch mal so richtig wissen. Witz beiseite: Gremliza, Ex-Spiegel-Redakteur und jetziger Herausgeber des linken Hamburger Magazins Konkret, steigt ins tägliche Nachrichtengeschäft ein. Er wurde zum Blattmacher und Verleger der früheren FDJ-Zeitung Junge Welt in Berlin berufen. Das kriselnde Blatt soll ab 2. Mai mit neuem Konzept erscheinen. Der bisherige Verleger der Jungen Welt, Peter Großhaus, bleibt Geschäftsführer des Verlages. Ost- Chefredakteur Jens König hat das Blatt verlassen.

Gremliza bezeichnet den Neustart der Zeitung, die fast ohne Anzeigen erscheint und deren Auflage seit der Wende kontinuierlich von 1,5 Millionen auf 30.000 sank, als „ernsthaften letzten Versuch“. Der Konkret-Mann ist gerademal 14 Tage im Amt, da qualmt es schon mächtig zwischen dem neuen Verleger und der Redaktion. Am vergangenen Samstag erfuhren die LeserInnen durch ein Junge Welt-Intern, daß Redakteure „beurlaubt“ worden seien. „Trennungen“ müßten bedacht werden. Insgesamt sind bislang fünf Beurlaubungen ausgesprochen. Hintergrund ist ein Ost- West-Konflikt: Die Redaktion hat ein Konzept, das die Leserschaft in den neuen Ländern ausbauen soll, während Gremliza mehr LeserInnen im Westen gewinnen möchte. Der Konkret-Chef stellt sich ein ambitioniertes Profil vor: drei aktuelle Interviews täglich und viel mehr Kultur mit einem klassischen Feuilleton. Dazu statt dreier Kommentare täglich ein großer Leitartikel. Das Konzept der Redaktion hingegen müht sich eher in der Ebene: mehr innenpolitische Berichterstattung, mehr Debatten, mehr Service.

Fragt sich nur, wie Gremliza sein Ziel von 5.000 Neu-Abos im Westen in sechs Monaten erreichen will. Bislang wird das Ostprodukt Junge Welt im Westen nämlich nur 1.000 Exemplare los, der Rest wird im Osten verkauft. Nirgendwo steht die Mauer noch so gut wie auf dem Pressemarkt.

Seine Arbeit bei der Jungen Welt, so Gremliza, sei auf sechs Monate beschränkt; für diese Zeit sei die Finanzierung des neuen Konzepts gesichert. Sobald die Junge Welt mehr Abonnementaufträge als -abbestellungen erhalte, sei sein Job in Berlin beendet. Ihm schwebe „ein anti-deutsches Produkt“ vor, das sich stärker nach Westen orientiere. Von einer „Einwestung“ der Jungen Welt kann aber laut Gremliza keine Rede sein: „Die Zeitung soll politisch, journalistisch und literarisch qualifiziert werden.“ Insgesamt wird Gremliza sechs bis sieben neue Leute aus seinem Hamburger Umfeld mit nach Berlin bringen. Bereits feststehende Namen: die Konkret-Autoren Jürgen Elsässer und Günter Kolodziej sowie Wiglaf Droste.

Das Geld für den „Relaunch“ – wie die taz erfuhr, ein Betrag unter einer Million Mark – stammt laut Gremliza aus dem „laufenden Betrieb“ der Jungen Welt. In Branchenkreisen wird jedoch bezweifelt, ob die Junge Welt mit ihrer niedrigen Auflage tatsächlich soviel Geld mobilisieren kann. Vermutet wird, daß das Kapital aus dem linken Presseimperium der Berliner Mediengruppe Schmidt und Partner (MSP) stammt. Unter dem Dach von MSP (Verlag Elefantenpress, Satiremagazin Titanic, Wochenzeitung Freitag, Kulturzeitschrift Der Alltag) erschien bis Anfang 1992 auch die Junge Welt. Peter Großhaus, der damals Vize-Geschäftsführer bei der Jungen Welt war, übernahm das Blatt, das Konkurs angemeldet hatte. Dazu gründete Großhaus die Verlagsanstalt in Berlin (VAIB). Auch jetzt noch steht Großhaus mit der MSP, der auch das Druckhaus am Treptower Park gehört, über Miete und Druckaufträge in enger Verbindung.

So wurde der Gremliza-Coup auch nicht vom Junge Welt-Besitzer Großhaus eingefädelt, sondern von Erik Weihönig, einem der Chefs von Schmidt und Partner. Hans-Hermann Kotte

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