piwik no script img

Bonbonbunt und synthetisch wie Naschwerk

■ Im Legoland der Kunst: Julian Opie zeigt virtuelles und aseptisches Architekturspielzeug in Hannover

Die Disneyfizierung der Kunst schreitet voran. Das vorläufig letzte Beispiel, wo sich der Betrachter vorkommt wie in einem Legoland der Kunst, präsentiert die Ausstellung des Briten Julian Opie, Jahrgang 1958, im Hannoverschen Kunstverein. Wie Alice im Wunderland oder wie Gulliver unter den Liliputanern wandelt der Betrachter zwischen Exponaten, die allesamt zwischen Architekturmodell und Puppenstube schwanken. Sie zeigen Autobahnen, Schlösser, Landhäuser, Festungsmauern oder glatte, farbige, zu wechselnden Ensembles arrangierte Würfel. Allen diesen Objekten ist in der Nachfolge der Minimal art zumindest eine Besinnung auf harmonische Proportionen und Gesetze von Maß und Zahl eigen. Nur läßt es Opie, der Donald Judd als Vorbild nennt, nicht dabei, sondern seine Skulpturen wollen auch etwas erzählen.

Mit wenigen Quader- und Würfelformen aus Holz und einer Palette von zwölf sich wiederholenden Acrylfarben, so bonbonfarben und synthetisch wie das Naschwerk von Haribo, baut Opie skulpturale Skylines, mit denen er den langen und problematischen Schauraum im Kunstverein an der Hannoverschen Sophienstraße so überzeugend bestückt hat wie vor ihm nur Daniel Buren. Seine puristischen, in ihrer Asepsis durch keinerlei menschlichen Affekt belästigten Stadtlandschaften erinnern dabei an das Projekt der Moderne von den russischen Suprematisten über die holländische De- Stijl-Gruppe bis hin zum Bauhaus. Aber der Traum vom Sieg des rechten Winkels ist vorbei: In den Trabantenstädten der Metropolen ist das geordnete Leben längst zusammengebrochen.

Natürlich weiß Opie dies alles, und daher sind seine Bauklotz- Skulpturen nicht nur Legoland für Erwachsene, sondern sprechen auch vom Scheitern dieser Utopie. Das Projekt der Moderne ist ein ferner Traum. „Imagine you can order these“ heißt der Titel der Installationen und meint: Stell Dir vor, Du könntest diesen Traum noch realisieren, sozusagen auf Bestellung. Aber die Verhältnisse sind nicht so. Opie stellt keine Utopien mehr vor, sondern Atopien – Nicht-Orte. So jedenfalls nennt der englische Kunsthistoriker Michael Newmann die Skulpturen, Bilder und Raumensembles von Julian Opie in einem Katalogbeitrag, der ansonsten schweres intellektuelles Geschütz auffährt.

Opies Häuser, Schlösser, Festungsmauern und Autobahnen sind anonym, losgelöst von jedem eindeutigen historischen und soziologischen Bezug. Die Größenverhältnisse seiner Objekte haben keinerlei Verhältnis mehr zu irgendeiner Norm oder Konvention des äußeren Lebens, sei es nun zu einem privilegierten Modell oder dem menschlichen Körper.

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

Schließlich arbeitet auch sein Produktionsprinzip mit an dieser Anonymisierung: Immer wieder benutzt er eine bestimmte Anzahl industriell vorgefertigter Module, ob nun Holz-, Metall- oder Steinblöcke, die unterschiedlich montiert werden. Emotionen sind diesen Objekten fremd.

Die Atopie seiner Arbeiten wird dort besonders deutlich, wo Opie sich als Vorlage auf computergenerierte Bilder einläßt. In der Bildserie „Imagine you are walking“ fährt der Betrachter mit der Kamera durch ein Labyrinth menschenleerer Räume. Wie der Faden der Ariadne zieht sich das schwarze Band der Straße unter ihm dahin und sucht sich seinen Weg durch kubische Hochhausschluchten. Die elektronischen Bilder hat Opie vom Monitor abgenommen und im riesigen Maßstab als Fresko auf die Räume des Kunstvereins gebracht. Sie wirken wie eine Demonstration perspektivischer Experimente aus der Renaissancezeit im Kostüm der Virtualität. Eine artifizielle und abstrakte Welt von schlackenloser Schönheit.

Ähnlich arbeitet Opie bei der Skulptur und Bildserie „Imagine you are driving“. Dargestellt wird kein physischer Raum, sondern die Sequenz von Bildern einer dreispurigen Autobahn. Im Grunde ist die Autobahn selbst gar kein richtiger Ort und damit atopisch par excellence. Weiße Linien, Makadame und endlose, die Fahrbahn begrenzende Grasstreifen sowie ein ewig blauer Horizont bilden die optischen Reize und wiederkehrenden Elemente der Bilder. Zwar zielt Opie dabei auf eine wenigstens imaginierende Einfühlung durch den Betrachter, wie der Titel es suggeriert. Aber was er am Ende thematisiert, ist die Fiktionalisierung einer Fiktion: Nicht die reale Welt bildet den Hintergrund seiner Arbeiten, sondern der von jeder Historie entbundene und von den Mikrochips der Computer prozessierte Stoff. Das führt den jungen Engländer in seinen Arbeiten zu hochästhetischen, sehr puristischen Gebilden, die sich einschreiben in die alte Tradition des L'art pour l'art wie in die neue Mode narzißtischer Regression. Kinder haben einen Mordsspaß in dieser Ausstellung. Michael Stoeber

Die Arbeiten von Julian Opie sind bis zum 19.4. im Kunstverein Hannover, Sophienstraße 2, zu sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen