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Wer kennt schon Goražde?

■ Das ostbosnische Städtchen ist den Serben bei ihrem Kriegsziel einer Grenzverschiebung Richtung Westen im Weg

Zagreb (taz) – Einmal, vor noch gar nicht allzu langer Zeit, waren sie allesamt verschlafene Provinznester, die jetzt in der Weltöffentlichkeit geläufigen Orte des Schreckens im bosnischen Krieg. Wer kannte denn schon früher die gerade 37.000 Einwohner zählende verschlafene Provinzstadt Goražde an der Drina, wer Srebrenica oder gar Zepa? Nicht einmal die Kenner Bosniens mochten diese Städte bereitwillig besuchen, zog sie es doch eher zu den kulturhistorischen Schätzen von Sarajevo, Mostar, Foca, Travnik oder Banja Luka.

Seit März 1993 belagert, mußte Goražde schon damals etwa 30.000 Flüchtlinge aus den umliegenden Regionen aufnehmen. Fast ein Jahr zuvor waren viele Menschen aus der Nachbarstadt Foca geflüchtet, als im April 1992 serbische Freischärler dort wüteten. Mit dem Argument, die muslimanische Bevölkerungsmehrheit der Region wolle die Serben töten, wurden nach Augenzeugenberichten Hunderte von Menschen massakriert. Die Moscheen der Stadt wurden in die Luft gesprengt, so, als gelte es gleichsam die Wurzeln „der anderen“ in der Region auszureißen. Aus diesem Beispiel wußten die Belagerten von Goražde, was ihnen blühen würde, wenn auch sie den Serben in die Hände fielen.

Dies erklärt den erbitterten Widerstandswillen in Goražde, der allein in der Lage war, die waffentechnische Unterlegenheit gegenüber der serbischen Seite auszugleichen. Denn die Verteidigung blieb weiterhin notwendig, obwohl die Enklave im Mai 1993 zur UNO-Schutzzone erklärt worden war. Die UNO war lange Zeit weder personell noch vom politischen Willen her in der Lage, den damit verbundenen Pflichten, vor allem der Sicherung des Lebens der Bewohner, auch nachzukommen. Das Schutzzonen-Konzept beinhaltete die Möglichkeit militärischer Schritte zum Schutz von UNO-Soldaten – solche hat es in Goražde aber nie gegeben.

Doch immerhin verfügten die Menschen von Goražde noch über ein gewisses Territorium, über Wald und damit Holz für den Winter, über eine Landwirtschaft, die immerhin in der Lage war, die Bevölkerung in bescheidenem Maße zu versorgen. Den fast 80.000 Menschen in der weiter östlich gelegenen Enklave Srebrenica dagegen ging es noch schlechter. Nach der serbischen Frühjahrsoffensive 1993, nach der militärischen Niederlage aufgrund des Waffenmangels, die Bevölkerung auf wenige Quadratkilometer zusammengedrängt, allein von der internationalen Hilfe abhängig, die jederzeit durch die Belagerer unterbrochen werden konnte und auch im letzten Winter unterbrochen wurde, entwaffnet und zur UNO-Schutzzone erklärt, wurden die Menschen dort zu bloßen Objekten degradiert.

Es ist bezeichnend für die lange Zeit gültige „neutrale“ Haltung der UNO-Offiziellen, daß nicht einmal Journalisten Zugang dort erhielten, um die Lage zu beschreiben. Eine mehr symbolisch gedachte Einheit der UN-Schutztruppe Unprofor von rund 150 Mann ist jedoch hier stationiert, wie auch in der benachbarten Enklave Zepa, deren rund 30.000 Einwohner das Schicksal von Srebrenica teilen.

Ostbosnien, das Gebiet von Foca über Goražde bis Srebrenica, widerlegt schlagend die serbische Propagandathese, es ginge den Serben nur darum, die eigene Bevölkerung zu schützen. Denn, sieht man von der Region östlich von Sarajevo ab, hier besteht die Bevölkerung mehrheitlich aus Muslimanen (rund 70 Prozent in den Regionen Goražde und Srebrenica, relative Mehrheit in Foca). In Wirklichkeit geht es den Serbenführern Karadžić und Mladić um die Durchsetzung einer durchgängigen Nordsüdverbindung in dem von ihnen besetzten Ostbosnien. Und es geht ihnen darum, den schon im 19. Jahrhundert formulierten Traum der serbischen Nationalisten zu verwirklichen, die serbische Grenze von der Drina in Richtung Westen zu verschieben. Erich Rathfelder

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