Von Menschen zu Untertanen

■ Filmwoche zu politischer Gewalt von amnesty international in der Brotfabrik / „Das fünfte Siegel“ von Zoltán Fábri

Lamm oder Wolf, Sklave oder Herr, welche Rolle wäre vorzuziehen, hätte jeder die Wahl? Kovács, dem Tischler, bereitet die Entscheidung schlaflose Nächte, der Vertreter und Lebemann Kiraly versucht sie zu verdrängen, und für den Gastwirt ist es von vornherein klar: Er will unter allen Umständen möglichst unbeschadet überleben. Wer der Herr ist und wie, bleibt Nebensache, wenn es sich nur rechnet. Eines Abends werden die drei Männer zusammen mit dem intellektuellen Fragesteller, dem Uhrmacher Gyurica, abgeholt, verhört und gefoltert. Das Denkspiel wird völlig unerwartet Wirklichkeit: Nur um den Preis der Erniedrigung und des Verzichts auf Humanität haben die vier, die jetzt Todeskandidaten sind, eine Chance.

Die 1976 entstandene Ferénc- Sánta-Verfilmung „Das fünfte Siegel“ des ungarischen Regisseurs Zoltán Fábri kam bereits ein Jahr später in die Kinos der damaligen DDR und avancierte rasch zum Kultfilm. Das hing, wie so oft, weniger mit der Ästhetik als mit der Rezeption von „Das fünfte Siegel“ zusammen. Denn bis auf einige Szenen und den Schlußteil ist Fábris Streifen eine recht langatmige Debatte, dem Theater viel näher als dem Film. Allabendlich treffen vier Männer in einer Kneipe zusammen, um bei Schnaps und einem Schwatz dem Alltag zu entfliehen. Man schreibt das Jahr 1944, und in Ungarn regieren die faschistischen Pfeilkreuzler. Zur politischen Situation fällt kein Wort, und die Diskussion über Herrschen und Beherrschtsein wirkt eher literarisch, fast aufgesetzt. Erst die Verhaftung holt die Kleinbürger aus dem Reich des Fabulierens auf die Erde zurück.

Auch im vergleichsweise liberalen Ungarn konnten Diktaturen 1976 nicht öffentlich analysiert werden. Aber Fábri ging es auch nicht um die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Vergangenheit (der gängigen Geschichtsklitterung hätte der Film ohnehin kaum ausweichen können), sondern um das Prinzip: Menschen zum Verrat an sich selbst, zum Verlust ihrer Selbstachtung zu treiben, ist die Strategie der Mächtigen, um Bürger in Untertanen, in lebendige Tote zu verwandeln.

„Das fünfte Siegel“ verzichtet auf die spannende Story, auf den dramatischen Handlungsablauf. Fábri will nicht die Grausamkeiten eines Terror-Regimes vorführen; ihm geht es darum, das zynische Kalkül der Macht offenzulegen, die weiß, daß mit Brutalität allein Millionen nicht zu kontrollieren sind. Es gibt subtilere Methoden – die Verbreitung von Angst und scheinbarer Großzügigkeit, die willenlose Mitläufer zu Komplizen macht. Mit einer guten Portion Pathos entläßt der Film drei seiner Figuren dennoch als Helden.

In einem realsozialistischen Land Mitte der siebziger Jahre, als die Illusion des Wirtschaftswachstums und einer bestimmten Lebensqualiät aufrechterhalten werden konnte, drückte Fábris Film aus, was viele bereits dachten, jedoch niemand aussprach. Wie schon der Titel andeutet, bedient sich der ungarische Regisseur auch der christlichen Symbolik. Das war für die Filmproduktionen des einstigen Ostblocks ungewöhnlich; zugleich macht der Regisseur jedoch deutlich, daß leidvolles Erdulden und Resignation der falsche Weg sind.

Zusammen mit anderen älteren politischen Streifen, dem argentinischen „Die offizielle Geschichte“ von Luis Puenzo, Roland Joffés „The Killing Fields“ (Großbritannien), dem amerikanischen „Romero“ von John Duigan und zwei deutschen Beiträgen – „Blauäugig“ von Reinhardt Hauff und Peter Lilienthals „Das Autogramm“ – wird der Film von Fábri in der Brotfabrik am Prenzlauer Berg nun wieder gezeigt. An Aktualität hat das Genre leider nichts eingebüßt. Noch immer werden weltweit Tausende von Menschen wegen ihrer politischen Ansichten oder ihrer ethnischen Herkunft Opfer von Regierungen. Die Beispiele erübrigen sich.

Die Filmwoche mit dem Motto „Auslöschen könnt Ihr sie nicht“, die heute beginnt, ist der Schwerpunkt einer von amnesty international gestarteten Kampagne gegen Verschwindenlassen und politischen Mord. Begleitet wird sie von Informationsveranstaltungen, einer Ausstellung und einer Unterschriftensammlung gegen Menschenrechtsverletzungen. Rudolf Herbert

„Das Autogramm“: 14.–17.4., 19 Uhr; „Das fünfte Siegel“: 14.–20.4., 21 Uhr; „Romero“: 14./15.4., 23 Uhr; „The Killing Fields“: 16./17.4., 23 Uhr; „Die offizielle Geschichte“, 18.–20.4., 19 Uhr, „Blauäugig“, 19./20.4., 23 Uhr, Kino in der Brotfabrik, Prenzlauer Promenade 3, Prenzlauer Berg.