: Keine Konfrontation mit der Schulmedizin
Übernahme des städtischen Krankenhauses Havelhöhe durch die Antroposophen soll noch im April perfekt gemacht werden / Beschäftigte tun sich schwer mit neuem Träger ■ Von Dorothee Winden
Berlin bekommt ein Anthroposophisches Krankenhaus. Noch in diesem Monat soll der Vertrag zur Übernahme des städtischen Krankenhauses Havelhöhe unterzeichnet und vom Abgeordnetenhaus abgesegnet werden.
Daß die Entscheidung für diesen Standort von Sachzwängen bestimmt und politisch ungeschickt eingefädelt wurde, belastet das Vorhaben allerdings nach wie vor erheblich. Sowohl die Anthroposophen als auch die Beschäftigten der Klinik Havelhöhe erfuhren im vergangenen Jahr aus der Zeitung, daß Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) Havelhöhe als Standort ausgeguckt hatte – ein Verfahren, das beim Personal nicht gerade die Akzeptanz für die Übernahme steigerte. Die anthroposophische Gründungsinitiative hätte es ihrerseits vorgezogen, in das frei werdende US-Hospital in Steglitz einzuziehen. Doch das wurde der Uniklinik Steglitz versprochen.
Um die vom Senat favorisierte Lösung durchzusetzen, stellte Staatssekretär Detlef Orwat das Krankenhaus Havelhöhe vor die Alternative „Friß oder stirb“: Entweder die Anthroposophen übernehmen das Haus, oder der Standort wird geschlossen. Das bewegte schließlich auch die Spandauer Bezirkspolitiker dazu, ein Bürgerbegehren für den Erhalt der städtischen Trägerschaft zu ignorieren, obwohl eine Bürgerinitiative innerhalb kurzer Zeit 26.000 Unterschriften dafür zusammenbekam.
Der Protest der Beschäftigten richtete sich vor allem gegen „das Diktat des Senats“, sagt Gerhard Fuchs, Pflegedienstleiter der Lungenabteilung. Erst in zweiter Linie gehe es um Vorbehalte gegenüber der anthroposophischen Heilkunst.
Hinzu kommt, daß das Haus nach dem Krankenhausplan 250 der bisher 600 Betten und auch entsprechend Personal abbauen muß. Die MitarbeiterInnen haben Angst um ihren Arbeitsplatz. „Bis heute ist nicht geklärt, wie viele Mitarbeiter gehen müssen“, sagt Fuchs. Mit der Übernahme durch die Anthroposophen hat der Bettenabbau zwar überhaupt nichts zu tun, aber er belastet das Gesamtklima. Auch wenn im Übernahmevertrag Besitzstandswahrung großgeschrieben wird, sind noch Fragen offen. So prüft die Senatsverwaltung für Gesundheit gegenwärtig, wie die Zusatzrentenversicherung des öffentlichen Dienstes unter der neuen Trägerschaft aufrechterhalten werden kann. Ansonsten gilt: Die jetzigen Positionen und Gehälter der Beschäftigten werden gewahrt, niemand werde nach Trägerwechsel entlassen. Potentielle PatientInnen müssen sich noch bis zum Herbst gedulden. Doch auch dann kann die Umstellung auf anthroposophische Heilkunst nur Schritt für Schritt erfolgen. So werden in der Inneren Medizin bei insgesamt 202 Betten zunächst zwei anthroposophische Stationen mit jeweils 36 Betten eingerichtet.
„Anthroposophie ist weder eine Weltanschauung noch eine Glaubensrichtung, sondern ein Erkenntnisweg“, stellt Harald Mattes von der Gründungsinitiative klar. „Wir suchen nicht die Konfrontation mit der Schulmedizin.“ Antroposophische Medizin verstehe sich nicht als Alternative, sondern als Erweiterung herkömmlicher Behandlungsmethoden. Bei der Diagnose der Krankheiten müßten die Ursachen der Krankheit auch im geistig-seelischen Bereich gesucht werden. Dies müsse dann bei der Therapie berücksichtigt werden.
Beispiel Herzinfarkt: Wer einen Herzinfarkt erleidet, wird zunächst einmal genauso behandelt wie in jedem anderen Krankenhaus. Zusätzlich ginge es dann darum, den Infarkt „biographisch aufzuarbeiten“, die Krankheit zum Anlaß zu nehmen, um innezuhalten und zu überlegen: Welche Fragen stellt die Krankheit an mich? Was sollte ich in meinem Leben ändern? Ideal sei hierfür eine Maltherapie, sagt Matthes, anhand der gemalten Bilder sei es leichter, über diese Dinge nachzudenken. Den PatientInnen werde auch das Angebot einer Gesprächstherapie gemacht. Dies könne allerdings nur ein erster Anstoß sein, da die Liegedauer nicht länger sei als in konventionellen Krankenhäusern. Herzinfarktpatienten, die ihr Leben ändern, haben ein weitaus geringeres Risiko, einen zweiten Herzinfarkt zu bekommen, haben Studien ergeben. Doch bislang setzt die Schulmedizin diese Erkenntnis nicht im Klinikalltag um.
Auch in der Pflege wollen die Anthroposophen andere Akzente setzen. „Pflege bedeutet auch zusätzliche therapeutische Maßnahmen wie Ölmassagen, Wickel oder Bäder“, so Matthes. Nach Möglichkeit sollen zusätzliche Pflegekräfte beschäftigt werden. Dennoch sei der Pflegesatz in einem anthroposophisch geführten Haus nicht höher, so Matthes. „Wir setzen das Geld anders ein.“ Für Medikamente würden etwa 20 bis 30 Prozent weniger ausgegeben als in herkömmlichen Krankenhäusern. Beispielsweise würde Antibiotika gezielter eingesetzt. Auch durch einen schlankeren Verwaltungsapparat könne Geld gespart werden.
Das anthroposophische Krankenhaus steht jedermann offen, sofern Plätze frei sind. Für den Einzugsbereich der Klinik müssen jederzeit Kapazitäten bereitgehalten werden. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für alle angebotenen Therapieformen, also auch für Kunsttherapie, Heileurythmie oder Gesprächstherapie. Die hierfür entstehenden Mehrkosten müssen durch interne Umschichtungen ausgeglichen werden. So sollen Privatliquidationen von Chefärzten nach Möglichkeit in den Klinikhaushalt fließen.
Das Krankenhaus wird die Abteilungen Innere Medizin, Hals- Nasen-Ohren und Gynäkologie umfassen. Zwar bereitet die Finanzierung der geplanten Umbauten noch Schwierigkeiten, denn der Topf, aus dem Krankenhausumbauten finanziert werden, ist leer. Andere Finanzierungsmöglichkeiten werden zur Zeit noch geprüft.
Dennoch: Die Initiative, die sich seit dreieinhalb Jahren für ein eigenes Krankenhaus einsetzt, befindet sich auf der Zielgeraden.
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